Re: Libertines Up the bracket

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aus dem Spiegel….

THE LIBERTINES

Die Bengel aus der Brit-Garage

Von Jan Wigger

Seit dem Erfolg der New Yorker Strokes erlebt rotziger Rock aus der Garage ein Revival. Die nächste Gitarren-Sensation kommt jedoch aus England: The Libertines lieben Clash, Jam und Sex Pistols und benehmen sich wie die Axt im Walde – Superstarstatus garantiert.

Gitarrenband The Libertines: „Wir haben mit dem Hype gerechnet“

Es war bislang kein glänzendes, aber ein sehr gutes Plattenjahr 2002. Wer den Triumphzug des New Yorker Quintetts The Strokes verfolgt hat, hoffte womöglich auf eine weitere amerikanische Gitarren-Sensation aus der Garage, die fachkundig seine Helden zitiert, ohne dass die musikhistorisch geschulten Bedenkenträger abwinken und unwillig von Plünderei murmeln.
Nun neigt sich das Jahr langsam dem Ende zu und die neuen, wieder mal sündhaft jungen Wilden kommen tatsächlich, aber nicht aus New York, sondern aus England. Während alle von Coldplay reden und ansonsten zaghaft erwägen, was zum Teufel wohl aus Brit-Pop geworden ist, haben vier Halbwüchsige aus Ost-London unter der väterlichen Aufsicht von Mick Jones (The Clash) ihr ebenso verblüffendes wie vorzügliches Debüt-Album „Up The Bracket“ aufgenommen. The Libertines (zu deutsch: Freigeister, Wüstlinge) nennen sich die beiden Songwriter Peter Doherty (Gesang/Gitarre) und Carl Barat (Gesang/Gitarre) sowie John Hassall (Bass) und Gary Powell (Schlagzeug).

Es könnte kaum einen besseren Namen geben für diese heruntergekommenen Unruhestifter, die Sergeant-Pepper-Anzüge tragen, über die Verzückung von Schwindelanfällen singen und aussehen, als würden sie aus Langeweile vorsätzlich Prügeleien anzetteln. Ihre erste Schlagzeugerin war eine Prostituierte und man soll sich auch schon gegenseitig mit Messern verletzt haben.

Schmutzig und glamourös, entzückend und verrucht: The Libertines in Popstar-Pose

Die zwölf Songs auf „Up The Bracket“ sind verwegen und halsbrecherisch und haben mit Brit-Pop, wie wir ihn kennen, nichts zu tun. Aus der britischen Ruhmeshalle dagegen nehmen sich die Libertines dennoch nur die Größten zum Vorbild: Das in Höchstgeschwindigkeit scheppernde „Horror Show“ zitiert die Buzzcocks, das exzellente, mit zahlreichen Wendungen versehene „Boys In The Band“ erinnert an die Kinks, „What A Waster“, erste Single und wegen Überschuss an hochklassigem Material gar nicht mehr auf dem Album enthalten, muss unter massivem Einfluss von The Jam geschrieben worden sein.

Peter Doherty, immer etwas verschnupft und mit den Libertines momentan in Japan unterwegs, hat in einer Zeit finanzieller Engpässe schon mal als Totengräber gearbeitet. Dem wegen eines Missverständnisses allzu schnell angenommenen Job in einer Begleitservice-Agentur konnte der Sänger in letzter Minute entfliehen, als er merkte, dass man von ihm mehr verlangte, als alternde Geschäftsfrauen zum Essen auszuführen.

Über seine Haupteinflüsse als Songschreiber zu sprechen, fällt Doherty nicht schwer: „Ich denke, unsere Stücke sind genauso gut vom Wetter, von den Menschen, mit denen wir uns umgeben, vom Essen oder sonst was beeinflusst, nicht nur von anderen Bands. Andererseits: Wenn die Leute The Clash, die Sex Pistols oder The Smiths mit uns in Verbindung bringen, denke ich, dass sie Recht haben, denn ich liebe diese Bands. Sie waren kraftvoll, politisch und hatten einen wahnsinnig großen Einfluss auf junge Leute.“ Es sei seltsam gewesen, als Produzent Mick Jones zum ersten Mal bei einer der Proben auftauchte, erzählt Doherty: „Der Mann hat schließlich bei The Clash gespielt und die waren unglaublich!“

Libertines-Album „Up The Bracket“: 30 Minuten Gitarren aus der Garage

Punk, New Wave, R&B, das alles von unfrisierten und chronisch unausgeschlafenen Jungs gespielt? Doherty weiß, dass Teile der heimischen Presse die Libertines nicht nur zur besten britischen Band des Jahres ausrufen werden (was der „New Musical Express“, die Musikbibel für Hipster, bereits im Frühsommer getan hat), sondern auch kritisch auf all das schauen wird, was sich im momentan so profitablen Kielwasser der Strokes bewegt. Doch Peter scheint das herzlich egal zu sein: „Es ist doch unvermeidlich, dass man uns jetzt mit den Strokes vergleicht, auch wenn es uns mittlerweile schon drei Jahre gibt. Unsere Songs sind großartig und deshalb haben wir auch mit dem Hype um uns gerechnet.“

Die Welt der Libertines ist glamourös und schmutzig, entzückend und verrucht zugleich. So besoffen die Strophe von „The Boy Looked At Johnny“, so süß und melodieselig der Refrain: „New York City’s very pretty in the night time/ but don’t you miss Soho, where everybody goes“. Im Video zum rasanten Titelstück „Up The Bracket“ stolpert die Band wenig amüsiert durch enge, ummauerte Gassen, doch bei der anschließenden Party im nicht eben geräumigen Wohnzimmer tanzt man inmitten von alten Beatles-Singles, zügellosen Mädchen und vollen Aschenbechern auf alten Sofas und brüllt halluziniert die Zeile „I was so bold“ in den Telefonhörer.

Nun also hat auch England seine Garagenhoffnung, eine wirklich viel verprechende noch dazu. Dauer von Album und Live-Auftritt: Knapp über 30 Minuten. Wer fragt da schon nach mehr?

„Up The Bracket“ (Sanctuary/Rough Trade/Zomba) wird am 21. Oktober 2002 veröffentlich

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