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bullschuetz

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Grade gefunden – Berliner Zeitung vom 4. September 2011:

Amerikanisch bis ins Herz

Nashville ist die Hauptstadt des Country. Viele Sänger stehen für stockkonservative, ja fundamentalistische Werte ein. Aber nicht alle

Von Sebastian Moll

NASHVILLE. Zwei Stunden schon hält Bill Cody, DJ der legendären Nashviller Country-Radio-Station WSM, jetzt die Viereinhalbtausend in der ausverkauften Grand Ole Opry hin. Er hat sie mit Vorgruppen vertröstet, und Bucky Covington hat ihnen ein Lied gesungen von der Tugendhaftigkeit einer Erziehung mit der Bibel und dem Gürtel. Doch jetzt ist es endlich so weit, jetzt ist der Mann dran, dessentwegen sie heute aus der ganzen Region nach Nashville gekommen sind: Charlie Daniels. Daniels ist ein Superstar hier im amerikanischen Süden, im Zentrum jenes Amerikas, das Sarah Palin, die schon einmal Vizepräsidentin der USA werden wollte, wohl als das wahre bezeichnen würde. In den 70er Jahren hat er der Region mit dem Lied „The South’s Gonna Do It Again“ eine Hymne geschenkt, im Wahlkampf für den Südstaaten-Demokraten Jimmy Carter war das. Seit Ronald Reagan aber und erst recht seit dem 11.September 2001 steht Daniels politisch dort, wo er auch die Mehrheit seines Publikums vermutet – ganz weit rechts. Er hat offensiv den Irakkrieg und George W. Bush unterstützt, und in seinen Memoiren „More than a Rag“ hat er die Fahne der USA gegen die „Hollywood Bunch“ verteidigt, jene kulturellen Eliten an den Küsten, die einfach nicht verstehen wollen, was wahre Amerikaner denken und fühlen. Hier, in der „Mutter-Kathedrale“ der Country-Musik, ist man unter sich, hier muss Daniels seine Weltanschauung nicht verteidigen. Als er seinen gewaltigen Hut in den Nacken stülpt, sich seine Fiedel unter das Kinn klemmt und eine Ode an „Bobby in Kandahar“ anstimmt, gehen im Auditorium die Lichter aus und die Feuerzeuge an. „Lasst ihn gewinnen, oder holt ihn heim“, singt Daniels, der sich in Interviews gar nicht laut genug über die schwächliche Haltung Obamas in Afghanistan und im sogenannten Krieg gegen Terror überhaupt aufregen kann. Die Zuhörer sind offenbar ganz seiner Meinung, sie johlen und pfeifen, werfen ihre Hüte in die Luft und verlangen nach Zugabe. Das dunkle Herz Amerikas ist auf den ersten Blick gerade so, wie man es sich vorstellt. Schon im Flughafen-Terminal von Nashville sieht man mehr Cowboystiefel als Sneakers. An der Bar in der Wartelounge sitzt ein einsamer junger Mann in Baumwollhemd und verwaschener Jeans auf einem Hocker, zupft auf seiner Gitarre und singt traurige Lieder vom harten Leben auf der Farm, von unglücklicher Liebe und von seinem Truck. Wer nur zwei Flugstunden zuvor am Broadway in New York in ein Taxi gestiegen ist, kommt sich vor wie auf einem anderen Planeten. Alle Vorurteile scheinen sich zu bestätigen. Der Süden ist hinterwäldlerisch und stockkonservativ, die Country-Musik ist das einzige, was dieses Land kulturell zu bieten hat, und allzu oft wird sie – wie zum Beispiel von Charlie Daniels – dazu benutzt, reaktionär-fundamentalistisches Gedankengut zu transportieren.
Aber auch das ist Nashville: Sonntagabend im Blue Bird Cafe in East Nashville. Höchstens 20 Tische stehen im Barraum, es ist dunkel, die Decke hängt niedrig. Das Publikum sitzt dicht gedrängt bis an den Rand der kleinen Bühne. Dort stehen zwei Männer mit langen Haaren und Country-Gitarre im Arm. Peter Cooper, der Sänger des Duos, stimmt eine Ballade an, sie heißt „The Man who Loves to Hate“, der Mann, der es liebt zu hassen. Eine beißende Kritik an genau der Mentalität, die Daniels und seine Anhänger in der Grand Ole Opry beseelt: „Er krallt sich an dem fest, was er liebt, er schwankt nicht. Manchmal ist es schwer, den zu lieben, der es liebt zu hassen“, singt Cooper in seinem traurigen Bariton. Man tue der Country-Musik unrecht, wenn man sie in eine bestimmte politische Ecke stelle, sagt Cooper, als er nach dem Konzert bei einem Bier an der Theke des Blue Bird steht. Der Country wie auch das ländliche Amerika generell seien viel zu kompliziert, um sie über einen Kamm zu scheren. Country, erklärt Cooper, das sei zunächst einmal nur eines: die Musik einer Region, tief im Leben und den Traditionen der Menschen zwischen den Appalachen und den Rocky Mountains verwurzelt. Ein einzigartiger Mix aus schottischer und englischer Volksmusik, dem Blues und afrikanischen Einflüssen wie etwa dem Banjo, das Sklaven aus Westafrika mitbrachten, sei hier zu etwas speziell Amerikanischem zusammengerührt worden.
Cooper unterrichtet Musikgeschichte an der Universität von Nashville, nebenher arbeitet er als Musikkritiker. Aus ihm spricht also der Experte. Dass die Country-Musik mit der politischen Rechten in Verbindung gebracht werde, erklärt er, sei schlicht eine Sache der Geografie. Natürlich sei Country die Musik einer vorwiegend republikanischen Gegend. Aber wenn man fester hinfasse, dann zerbrösele einem die Zuordnung von Konservatismus, dem Süden und der Country-Musik zwischen den Fingern. Das fange schon hier in Nashville an, der Hauptstadt der Country-Musik. Tennessee ist zwar ein erzkonservativer Staat, die Musikstadt in seiner Mitte jedoch war schon immer eine demokratische Oase. Neben den Charlie-Daniels-Typen mit ihren riesigen Ranchen, auf denen sie selbst keinen Finger rühren, behaupteten sich eben auch das Blue Bird und die Songwriter-Szene. Auch in der Plattenindustrie denke man überwiegend liberal. Country, sagt Cooper, sei die Kunst, mit simplen Worten komplexe Geschichten zu erzählen. „Man wird in einem Country-Lied niemals ein Wort wie Empathie hören“, sagt Cooper. „Aber man kann in einem Drei-Minuten-Song die beste Definition von Empathie bekommen, die man je gehört hat. Country ist niemals dazu da, dich zu beeindrucken oder wegzublasen. Country will in dein Herz eindringen.“ Populär-Kultur im besten Sinn, dazu geschaffen, Verbindungen herzustellen zwischen einfachen Menschen mit oft schwierigen Existenzen, die sich durch die Lieder verstanden fühlen.
Gegen 11 Uhr leert sich das Blue Bird, doch viele haben noch nicht genug Country für heute. Man fährt hinüber nach Downtown Nashville, wo sich am Lower Broadway ein Honkytonk an das andere reiht. Im „Robert’s Western World“ fließt das Bier in Strömen über die abgewetzte Theke, Stiefelspitzen traktieren im Takt den alten Holzboden. Auf der Bühne steht Jesse Lee Jones mit seiner Truppe Brazilbilly und jault herzerweichend einen alten Hank-Williams-Song ins Mikrofon. Die dicht gedrängte Menge johlt. Junge Menschen mit Tattoos und Piercings mischen sich mit Paaren in mittlerem Alter; Akademikertypen, die vorher schon im Blue Bird waren, mit ein paar Gestalten mit kurzgeschorenen Haaren und Südstaaten-T-Shirts, die bestimmt auch Charlie-Daniels-Platten zu Hause haben. Bestimmt wählen einige von ihnen auch die Tea-Party-Kandidaten. Aber irgendwie kommt es darauf jetzt nicht an, jetzt regiert der Blues. New York ist in diesem Augenblick ganz weit weg. Und irgendwie ist das auch gut so.

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