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„Fusion“ ist keine sinnvolle Kategorie … Jazz Rock finde ich etwas griffiger, aber da gehören Shakti nicht rein und vermutlich auch sonst das eine oder andere nicht (und ganz gewiss nicht die Smooth Jazz-Kacke, die Sypro Gyra machen oder – an schlechten Tagen – die Yellowjackets), „Return to Forever“ gehört dann auch nicht rein, denke ich mal … aber ist auch Wurst, das Feld ist so weit wie beim Free Jazz, wo es mit dem Definieren ja auch schwierig wird.
Ich greife mal wieder rasch zu Berendt, aber im Gegensatz zum Free Jazz versucht er sich (in meiner Ausgabe des Jazzbuches wenigstens) gar nicht erst mit Definitonen. Er meint: „Die Integration von Jazz und Rock – lange erwartet, in den sechzigern Jahren immer wieder voreilig verkündet und doch erst durch Miles Davis‘ „Bitches Brew“ zufriedenstellend erreicht: diese Integration prägt den Stil der bekanntesten Jazzgruppen der siebziger Jahre (mit den meistverkauften Platten).“
Ob das mit „Bitches Brew“ zutrifft hängt wohl davon ab, welchen Grad der „Integration“ man voraussetzt … Vorläufer wie Cannonball und Eddie Harris machten ja gewiss keinen Jazz Rock, wenigstens nicht in den Sechzigern … die ersten Weather Report, die originalen Return to Forever, Wayne Shorters letzte Blue Note-Alben, das alles hat einen viel lyrischeren Ton als der treibende Jazz Rock, wie ihn Miles gespielt hat (in etwa ab Bitches Brew, aber es fängt ja auch bei ihm schon früher an, „Filles de Kilimanjaro“, „Miles in the Sky“, die Sachen auf „Water Babies“, wo Shorter durch einen Verstärker hindurch aufgenommen wurde etc.)
Berendt nennt übrigens im Jazz Roch/Fusion-Kapitel auch die Pat Metheny Band mit Lyle Mays (die ich ganz gerne mag, aber ich denke da als Kategorie nur: „Metheny“): „Andererseits hat man Methenys Musik einen Hankg zu Kitsch und Pathos nachgesagt, und ihren geschönten und geglätteten Charakter beklagt. Dennoch bleibt in allem, was die Metheny-Band spielt, das Erbe der Jazztradition und – neben viel brasilianischer Musik – auch ein Schuss Country & Western spürbar. Die anderen Gruppen (wie Sypro Gyra) führten die Fusion so dicht an kommerzialisierten Funk und Muzak heran, dass oft kaum noch ein Unterschied festzustellen ist. Sie sind ausschliesslich damit beschäftigt, Produkte für den Markt zu schaffen, und sind damit selbst zum Wegwerfprodukt geworden.“ (Berendt, Das Jazzbuch, mit Günter Huesmann, Fischer-TB von 1991/1996, S. 555)
Das der Schluss des Kapitels. Auch davor hält Berendt schon den Finger auf den „Abnutzungsprozess, dem die Jazz Rock- und Fusion-Gruppen unterworfen sind“ und meint, der werde „an der Musik Chick Coreas deutlich. Von den verschiedenen Gruppen, die er geleitet hat – zunächst unter dem Namen Return to Forever – war die erste (1972) bei weitem die beste – mit der Sängerin Flora Purim, dem Perkussionisten Airto Moreira, dem Saxophonisten und Flötisten Joe Farrell und dem Bassisten Stanley Clarke: eines der glücklichsten, leichtesten Produkte des Jazz Rock der siebziger Jahre.“ (S. 553f.) Das kann ich so absolut unterschreiben. Was ich von später gehört habe, besonders eben die schröckliche Elektrik Band, hat mich dermassen abgeschreckt, dass ich bis heute nicht das geringste Interesse mehr an Coreas Fusion-Projekte habe, auch wenn die RTF-Reunion neulich gefeiert wurde (und auch Leute, auf die ich mich sonst verlasse, sie schätzen), ich habe schlicht kein Interesse mehr daran.
Zu Mahavishnu schreibt Berendt u.a.: „Zur Dichte dieser Musik [derjenigen des originalen Mahavishnu Orchestras] gehörte allerdings auch, dass sich die Musiker innerhalb kurzer Zeit in persönlichen und musikalischen Spannungen aneinander zerrieben und die Gruppe auseinanderbrach. John McLaughlin hat mit seinen späteren Mahavishnu-Gruppen nie wieder das Niveau des ersten Mahavishnu Orchestras erreicht. Deshalb trat er ab 1976 mit der Gruppe Shakti auf […]“ (S. 554). Für Shakti verweist er dann auf das Kapitel „Weltmusik“, wo Don Cherry als erstergenannt wird, aber auch Namen wie Charlie Mariano, John Handy, Oregon, Bengt Berger und eben McLaughlin auftauchen.
Dieses ganze Kategoriendenken scheint mir in der Tat oft erst im Rückblick angelegt zu werden … es macht gerade in den Siebzigern vermutlich nicht viel Sinn, wenn es darum gehen soll, Kreise zu schliessen, Abgrenzungen vorzunehmen. Die gängigen Begriffe taugen vielleicht eher dazu, etwas in Aspekten zu beschreiben, als Hilfsmittel aber nicht als Hilfsmittel der Abgrenzung.
In diesem Sinne müsste der Thread hier eigentlich mit dem Free Funk-Thread fusioniert werden:
http://forum.rollingstone.de/showthread.php?25853
Da werden die Schnittstellen von der Avantgarde mit dem Sound und dem Funk, der Black Music jener Zeit, deutlich. Allerdings war Rock ja die White Music … die sich da und dort bei der Black Music bediente … schon in dem Sinne ist es eigentlich Unsinn, Miles Davis‘ Musik mit der Bezeichnung „Jazz Rock“ beikommen zu wollen, hatte er doch Jimi Hendrix, James Brown und Sly & The Family Stone im Auge, und wollte ganz klar bei einem schwarzen Publikum landen … dass die Kiffer in den Fillmores, die auf Grateful Dead oder Jefferson Airplane warteten, mehr Freude an seiner Musik hatten, scheint ihm ja nicht wirklich gepasst zu haben.
Vermutlich ist Jazz Rock oder Fusion und auch World Jazz immer dann am spannendsten, wenn er offen ist, wenn er nicht mit Zwängerei versucht, die Musik in ein Korsett zu pressen und zusammenzuzwingen, was nicht zusammengehört. Aber ich bin in der Materie nicht tief genug drin, als dass ich da mit vielen Beispielen operieren könnte.
Und hier legte ich mal ein paar andere Spuren, eher spekulativ, andere als meine Ohren scheinen ja die Connection von James Brown und dem Art Ensemble auch nicht zu hören ;-):
http://forum.rollingstone.de/showthread.php?42336
Noch eine Frage: wo gehört denn Paul Bley in all dem hin? Als Moog-Pionier hat er sicher eine Erwähnung verdient, auch wenn das elektrische Intermezzo nur kurz währte (ca. 1969-72, mit einem „Rückfall“ 1974) – keine Ahnung, wer diese Musik damals wirklich gehört hat (von David Bowie abgesehen), aber ich stelle mir schon vor, dass sie für einiges Aufsehen gesorgt hat. Und direkt neben Bley gehört dann auch Annette Peacock, die ja an sich mit Jazz nicht viel am Hut hat … auch das Schnittstellen, an denen sehr tolle Dinge möglich waren. Zum Beispiel sowas:
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