Re: ROLLING STONE September 2007

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kukuruz

Registriert seit: 21.07.2006

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Der Artikel „Gypsy-Groove“ von Jürgen Ziemer ist recht interessant geschrieben, verengt meiner Ansicht nach allerdings den Blick ein wenig einseitig auf die aktuellen Entwicklungen. Aus dieser Perspektive erscheint der Einfluss osteuropäischer Musik eher als vorübergehende Popwelle. Tatsächlich jedoch reicht die Tradition dieser Einflussnahme bis weit in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts (und darüberhinaus) zurück. Von Franz Liszt über die Wiener Operette, Béla Bartók , den europäischen Film der 20er und 30er Jahre, Django Reinhardt, Stéphane Grappelli, Naphtule Brantwein, die Andrew Sisters bis hin zu den Klezmatics, dem Snétberger/Stockhausen-Projekt, den urbanen Folk-Elektronik-Projekten aus Budapest oder jüngst David Orlowsky’s Klezmorim und umfasst – wie diese Aufzählung verdeutlichen soll – keineswegs nur „auf westliche Trinkstärke herabgesetzte Blechbläser-Power“.

Es handelt sich bei dem Phänomen „osteuropäische Musik“ doch wohl eher um ein eigenständiges, großes Territoriummit dem ganzen Reichtum an Referenzen, kulturellen Bezügen und angelegten Entwicklungsmöglichkeiten wie sie auch die angloamerikanisch geprägte Popmusik aufweist…

… eine Parallelwelt, die nun allerdings in der (Kurz-)Review zu Shantels „Disko Partizani“ zum Negatvikomplement des Satzes „Das Beste, was es in dieser Ecke gibt“ zusammenschrumpft.

Äußerst verwunderlich erscheint mir in dieser Hinsicht auch das in der jüngsten Besprechung zu Beiruts „The Flying Club Cup“ geäußerte Misfallen an der Fiktionalität dieser Musik. Wollen wir jetzt, 42 Jahre nach Bob Dylans Auftritt auf dem Newport Festival wieder auf „authentischen Folk“ bestehen? Condon macht letztendlich mit der europäischen Musik auch nix anderes als Afrika Bambaataa seinerzeit mit der von Kraftwerk. Er baut sie in den Kontext seiner Fiktionen ein und realisiert damit eine ganz individuelle Form von Subversion.

Nun befinden wir uns in Deutschland in einem der Zentren dieser neuen interessanten Entwicklungen von Pop-Kultur, wobei etwa die Wiederentdeckung der Sinti-Swing-Szene in der Tradition Reinhardts hierzulande sogar noch aussteht. Wir sollten uns eigentlich am Glück der Zeitzeugenschaft dieser wunderbaren Genese erfreuen.

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