Re: Travis

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nail75

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Die Kritik gibt es auch hier zu lesen, dazu eine Bildergalerie.

http://www.regioactive.de/story/5853/travis_live_review_und_fotogalerie.html

Die Kritik des Mannheimer Morgens in Gänze:

Nette Möbelstücke für den Alltag
POP: Die schottische Band Travis spielt im Mannheimer Capitol vor einer kleinen, aber restlos begeisterten Kulisse

Von unserem Redaktionsmitglied Uwe Rauschelbach
Wenn vier Schotten Britpop machen, lautet das Ergebnis: Travis. Auf ihren bisherigen Alben kultiviert die international hoch dekorierte Band einen mollgetönten Sound, in den sich am Leben leidende Popmusikhörer wohlig einkuscheln. Die Erfahrung bitterer Traurigkeit und herber Melancholie wird in Travis-Songs – etwa im Unterschied zu englischen Britpopbands – in ein kommodes Lebensgefühl umgedeutet. Dies ist der erste Verrat, den Depressionsgefährdete dieser Gruppe unterstellen.

Den zweiten begeht Travis mit ihrem Auftritt als Live-Band. Abgesehen davon, dass gut 1000 Fans zwar eine ordentliche Resonanzkulisse bieten, das Mannheimer Capitol aber für eine derart renommierte Band einen eher bescheidenen Rahmen abgibt, verwundert dann doch, wie wenig Travis an ihrem vermeintlichen Image als Seelentröster im Popgeschäft interessiert zu sein scheint. Schon mit ihrem ersten Song, „Selfish Jean“ aus dem aktuellen Album „The Boy With No Name“, zeigen die Schotten an, dass sich Heulsusen von der allgemeinen Fröhlichkeit entweder anstecken lassen oder doch besser das Weite suchen sollten.

Den stampfenden Rhythmus von „I Can’t Stop Crying“ lässt die Band regelrecht krachen. Dynamisch gesehen geht Travis beim Konzert in Mannheim kompromisslos aufs Ganze. Auf Feinheiten wie den Wechsel von Laut und Leise oder das Bemühen um Fragilität im Ausdruck verzichtet Travis mit einer solchen Vehemenz, dass man sich fragt, wie die Band es schafft, sich in diesem Genre als Softie-Versteher zu profilieren. So etwas nennt man Pop rustikal. Oder eben Britpop mit schottischem Einschlag. Glücklicherweise hat das punkige Münchner Schlagzeug-Gitarren-Duo „The Taste“ zuvor die Gehörgänge ordentlich freigefräst.

Insgesamt liefert Travis im Capitol einen bunten Querschnitt aus populären Songs ihrer Karriere. „Love Will Come Through“, „As You Are“, „My Eyes“, „The Beautiful Occupation“, die aktuelle Hitsingle „Closer“ und natürlich „Sing“ sind Meilensteine einer bemerkenswerten Bandgeschichte. Es sind zugleich Songs, die sich dazu eignen, die doch eher alltäglich ausstaffierten Räume eines zeitgemäßen Lebensentwurfs mit ein paar netten Schmuckstückchen zu möblieren. Zumal, wenn man das Glück hat, sich diese Räume mit etlichen Gleichgesinnten teilen zu können, die in der Lage sind, dieselben Texte auswendig mitzusingen. Das mag als Identitätsmerkmal reichen.

Mit Unterstützung des schwedischen und bis auf ein Solo sehr zurückhaltenden Keyboarders Claes Bjorklund liefert Travis eine muntere, aber unspektakuläre Bühnenschau ab. Fran Healy ist als Sänger und Gitarrist eindeutig Kopf der Band und obendrein Publikumseinheizer mit hohen Sympathiewerten. Er wird von Bassist Douglas Payne auch gesanglich unterstützt, während Gitarrist Andrew Dunlop seine Soli gerne nutzt, um akrobatische Sprünge von Boxentürmen zu absolvieren. Ein unauffälliges – um nicht zu sagen: wenig inspiriertes – Schlagzeug spielt Neil Primrose. Der Rest sind ein paar Rockerposen und eine launige A-capella-Performance, die den Charme eines feucht-fröhlichen Gelages in einem Pub irgendwo in den Highlands ausdünstet.

Wie kolportiert wird, soll jene andere Britpop-Band namens Coldplay ihre Existenz dem Vorbild von Travis verdanken. Mittlerweile hat sich Coldplay von Travis leidlich emanzipiert. Und es ist vielleicht nicht ganz falsch, zu behaupten, dass sich Travis zu Coldplay verhält wie einst Barclay James Harvest zu Moody Blues. Mit unbekümmert rumpelndem Wohlklang wirft Travis auch den restlichen Ballast einer als radikal empfundenen Emotionalität über Bord. Als die Band ihre Weltschmerzhymne „Why Does It Always Rain On Me“ intoniert, gröhlen 1000 Kehlen den Refrain mit. So muss es klingen, wenn traurige Menschen glücklich sind.

Kann mir jemand den Satz zu „I Can’t Stop Crying“ erklären?

Insgesamt finde ich die Kritik aber durchaus gelungen, abgesehen vom rätselhaften Vergleich am Schluss.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.