Re: Der Dialekt-Thread

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herr-rossi
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Demon, Du bist da durchaus auf der richtigen Spur, der Sachverhalt ist aber etwas anders. Um 1500 hatten wir folgende Situation: Im Norden sprach und schrieb man Mittelniederdeutsch (vom Niederrhein bis zum Baltikum), im Süden Mittelhochdeutsch. Das waren eigenständige Sprachen mit vollentwickelter Schriftlichkeit und zahlreichen Dialekten (wobei man im mittelhochdeutschen Sprachraum noch die ober- und die mitteldeutschen Dialekte unterscheiden muss).

Ab ca. 1550 wurde im Norden allerdings das Niederdeutsche binnen zwei, drei Generationen als Schrift- und Amtssprache komplett vom Hochdeutschen verdrängt. Das war ein friedlicher Sprachwechsel ohne zentrale Lenkung (und ist in seiner Konsequenz daher auch nicht einfach zu verstehen).

Die Eliten im niederdeutschen Sprachraum haben sich schnell auf das Hochdeutsche eingelassen und verwendeten das Niederdeutsche nur noch fallweise, auch wenn sie es weiterhin verstanden. Die niederdeutschen Dialekte waren die Sprache der „Ungebildeten“.

In diesem niederdeutschen Sprachraum mit hochdeutscher Schriftsprache machte sich nun nach und nach Brandenburg-Preußen breit. 1866 hatten sie das Gebiet fast komplett vereinnahmt, da gab es nur noch wenige „gallische Dörfer“, die selbständig blieben. Daher kann der Eindruck aufkommen, dass die preußische Verwaltung ursächlich wäre für diesen Niedergang der Dialekte im nördlichen Teil Deutschlands, aber der Eindruck trügt.

So ganz verschwunden sind die niederdeutschen („plattdeutschen“) Dialekte natürlich nicht, sie werden von vielen Menschen noch zumindest als „Zweitsprache“ situationsabhängig verwendet, besonders an der Küste, weswegen ja viele meinen, Plattdeutsch sei der Dialekt an der Nordsee, aber zum Niederdeutschen gehört auch das Westfälische, das Mecklenburgische usw. Und außerdem gibt es das niederdeutsch gefärbte Hochdeutsch als Umgangssprache, wie wir es besonders aus dem Ruhrgebiet kennen. Da sind die niederdeutschen Einflüsse nicht nur in den Wörtern und der Aussprache zu erkennen, sondern auch in grammatischen Eigenheiten.

Was den „Osten“ angeht: Der wird genauso wie der „Westen“ durch die „Benrather Linie“ zwischen dem hoch- bzw. mittelniederdeutschen Sprachraum einerseits und dem niederdeutschen Sprachraum andererseits zerschnitten. Berlin liegt genau auf der Grenze, so dass der Berliner eine ziemlich hybride Sprache spricht.

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