Re: U2 – Pop – 1997

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chet

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„Wake Up Dead Man“ ist für mich nicht weniger als der beste Song der Band: *****.

„Pop“ klingt für mich insgesamt noch wie die interessanteste U2-Platte seit (einschließlich) ’91. Es wurde zwar immer betont, wie unfertig das Album sei, weil unter Zeitdruck aufgenommen, aber wenn man ehrlich ist, tut es dem Sound eigentlich nur gut. Man vergleiche die rauhe, grandiose Album-Version von „Please“ mit der glattgebügelten Overkill-Version, die als Single erschienen ist und zu der Pavarotti als Duett-Partner perfekt gepasst hätte. Man vergleiche „Staring At The Sun“ in der „Pop“-Version, die das Zeug zum Klassiker hat (aber auch dieser Song ist für mich kein Ohrwurm – U2 können keine eingängigen Ohrwürmer schreiben!) mit der „New Mix“-Version der „Best Of 1990 – 2000“, die eine Spur zu dick und kompliziert daher kommt.

„Pop“ hat tolle Songs, die zu den Besten der Band gehören. „Wake Up Dead Man“ sowieso – unerreicht. Etwas beseelteres, spirituelleres habe ich von der Band davor und danach nicht gehört. Please auch (kennt jemand die Akustik-Version von Elvis Costello? Dieser Song funktioniert wie viele andere Songs der Band eben nicht nur im U2-Gewand).
„Staring At The Sun“ und „The Playboy Mansion“ werden zu unrecht von U2 selbst vernachlässigt. An „Staring At The Sun“ zeigt sich übrigens par excellence, dass U2 keine Ohrwürmer produzieren. Die ursprüngliche Live-Version ist 1997 gescheitert, weil viel zu kompliziert und im Band-Kontext live nicht funktonierend – hat sich angehört wie die erste Probe inkl. aus dem Takt kommen, neu ansetzten und wieder verspielen. Deshalb hatte man sich später für eine vereinfachte Lagerfeuer-Version mit zwei Akustik-Gitarren entschieden. Das Feeling des Songs kommt für mich aber nur in der Album-Version (und in dem Video) rüber.
„Last Night On Earth“ ist für mich das eigentliche „Discothéque“. Super drive, geht in die Beine.

Mal eine Frage an die Musikologen hier bezgl. musikalischer Innovation von „Pop“: Ist Mofo nicht der erste Trip Hop/Jungle-irgendwas-Song, der nicht auf Rhythmus-Samples beruht, sondern bei dem Bass und Drums live eingespielt wurden? Insgesamt ist Pop für mich das U2-Album, bei dem Adam Clayton und Larry Mullen ihre beste Arbeit abliefern.

Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass U2 behauptet hätten, den Pop neu erfinden zu wollen oder mit dem Album zeigen zu wollen, wo es in Zukunft lang gehen soll. Klar, dass die Auswahl der Produzenten und die Auswahl des Themas inklusive Kostümierung (man beachte auch die vielen Remixes, die als B-Seiten erschienen sind) zumindest zeigen wollten, dass U2 zeitgemäß klingen und überraschen können. Dennoch war das doch damals das übliche Kritiker-Gelaber und die typische Reaktion der Medien, die nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal bei Erscheinen eines neuen U2-Albums hohle Phrasen wie „sie haben sich mal wieder neu erfunden“ und „sowas gabs noch nie“ verlautbarten. Das sind die selben Leute, die keinen Beitrag über Harald Schmidt schreiben können, ohne das Wort „Kult“ zu gebrauchen.
Erinnern kann ich mich nur an eine Aussage Salman Rushdies, der die Band wohl bei den Aufnahmen getroffen hatte und sinngemäß gesagt hatte, das Album würde organisch und nach live eingespielt klingen. Und U2 hatten mal wieder gesagt (wie auch bei den beiden Alben danach und wahrscheinlich auch bei einigen davor), dass sie nun endlich mal eine richtige Rock’n’Roll-Platte machen würden. Irgendwie im Falle von Pop gar nicht so unzutreffend, wie ich finde. Ich weiß nicht, was Andere unter Bombast verstehen, aber für mich trifft es auf dieses Album nicht zu. Zeitdruck scheint für mich die einzige Chance für die Band zu sein, am Ende nicht überproduziert zu klingen, wie das auf den beiden Nachfolge-Alben der Fall ist.

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