Re: THE WHO Europe Tour 2007

#5719729  | PERMALINK

masureneagle

Registriert seit: 05.11.2004

Beiträge: 1,562

MÜNCHNER KULTUR
Süddeutsche Zeitung Freitag, 15. Juni 2007
Wir sind wieder wer

„The Who“: die Quintessenz eines Rockkonzerts der Siebziger mit heutigen Mitteln

Beim Einstieg mit „The Seeker“ flimmerten die alten The Who über die ultra-modeme, vierteilige Monitorwand: Vier geradezu unverschämt junge britische Jungs, denen das Testosteron aus allen Poren tropft, die eine uns heute ziemlich unerklärliche Wut antreibt und die zur Katharsis ebenso unerklärliche Manierismen einer in Kunst, Kleidung und Musik gegossenen Destruktion pflegen. Es war, das vorweg, das einzige Mal am Mittwoch in der Olympiahalle, dass man diese „Who“ zu sehen bekam, und nicht nur deshalb, weil Keith Moon und John Entwistle bekanntlich bereits den Exzessen des Rebellentums erlegen sind.

Auf die Frage, warum Pete Townshend und Roger Daltrey sozusagen ohne Not die alte Band reaktivierten und sich gar die umfangreichste „The Who“-Tour aller Zeiten antaten, gab der Münchner Auftritt eine ganz einfache Antwort: Weil sie es können, ohne im historisierenden Abklatsch ihrer selbst stecken zu bleiben wie so viele der wieder aus der Versenkung aufgetauchten und nicht zu Unrecht „Altrocker“ genannten Kollegen mit, leider, leider, den Rolling Stones vorneweg.

Ob mit der Videoparade verschiedenster Altersgruppen, Rassen und Epochen bei „My Generation“, ob mit unerwarteten Sprüngen und Stilwechseln bei „Behind Blue Eyes“ oder ob mit einer Mundharmonika-Einlage Daltreys bei „Baba O’Riley“ alias „Teenage Wasteland“ („You are very wasted in Munich“, attestierte Townshend dem Publikum) – keiner der alten Hits, der nicht in ganz neue Zusammenhänge gestellt worden wäre, bis hin zum „Tommy“-Medley. Nicht genug damit, eine Nummer vom aktuellen Album „Endless Wire“ spielte mit dem Blues und seinem ewigen Thema Zugfahrt. Und geradezu verblüffend war die Presley-Hommage „Real Good Looking Man“ samt dem Bekenntnis des einstigen Parade-Mods Daltrey, im zarten Alter von elf Jahren ausgerechnet vom Rocker Elvis zur Musik gebracht worden zu sein. Das hätte er seinen Fans Ende der Sechziger wohl nicht straflos erzählen können.

Diese Quintessenz eines Rockkonzerts der frühen Siebziger mit den Mitteln von heute hätte man sich auch noch zwei, drei Stunden länger anschauen können. Nicht zuletzt, weil die unlängst zu lesende Behauptung Daltreys, Townshends Gitarrenspiel sei besser denn je, nicht von der Hand zu weisen ist: Da werkelte ein Großmeister mit ungebrochener Lust und Kraft (natürlich einschließlich der berühmten Windmühlenschwünge) an den Saiten, von seinem Bruder Simon ah der zweiten (manchmal, wenn Daltrey mitmischte, der dritten) Gitarre, Drummer Zak Starkey, Bassist Pino Palladino und dem großartigen John „Rabbit“ Bundrick am Keyboard zugleich ernsthaft gefordert und rhythmisch getragen.

Nur als Townshend am Schluss seine Gitarre am Hals packte und nach oben streckte, fragte man sich eine Sekunde lang, ob er sie nicht doch mal wieder opfern würde, als Reverenz an den großartigen Abend. Er tat es natürlich nicht. Um ein allerletztes Mal die immer noch und immer wieder missverstandene, berühmteste seiner Textzeilen zu bemühen: Bei „Hope I die before I get old“ meinte Townshend schon Ende der Sechziger den geistigen, nicht den körperlichen Alterungsprozess. Bislang, das bewies dieses Konzert, ist der Wunsch noch nicht verwirkt.

Süddeutsche Zeitung vom OLIVER HOCHKEP

--