Re: Bob Dylan – Berlin, 3.5.2007

#5698765  | PERMALINK

elston-gunn

Registriert seit: 13.10.2006

Beiträge: 611

Wieso kommen Dylan-Fans immer so früh? Die sind doch alt, dachte ich, die kriegen’s doch im Rücken und kommen so knapp wie möglich. Aber nein: Eine Dreiviertelstunde vor Beginn, und ich steh wieder nur in der fünfzehnten Reihe.
So eine Dreiviertelstunde kann sich hinziehen, wenn man allein ein Konzert besucht. Man kann natürlich die Zeit für eine kleine sozialwissenschaftliche Observation verwenden und die umstehenden Besucher beäugen. Links hinter mir stand z.B. eine Dame, die einen Trend forführte, den ich später überall um mich herum entdeckte: Ferngläser. Das sind also die Leute, die sich danach beschweren, Dylan habe kein einziges mal vernünftig gegrinst! Rechts vor mir standen die beiden Protagonisten aus „Sideways“, der eine untersetzt, bärtig und introvertiert, der andere ein riesiges Spaß- und Muskelpaket, das bei jedem einzelnen Song wie ein 2 Meter großes Metronom mit Pferdeschwanz von links nach rechts schunkelte. Immerhin, die Leute waren von seinem Enthusiasmus so eingeschüchtert, dass sie ihm den unverschämt großen Platz für seine Übungen ließen.
Um aber mal zum Konzert zu kommen: Kurz nach halb acht ertönt „Fanfare for the Common Man“, jemand neben mir kommentiert sachkundig: „Also sprach Zarathustra. Beethoven.“ Dann ein Einstieg für die Götter, die süße Marie, in medias res geschmissen, wie’s besser nicht geht. Dylan ist fitter bei Stimme, als ich ihn in bisher erlebt habe (Düsseldorf 2003, Berlin 2005). Bei einigen Songs wirkt jede einzelne Silbe mit Bedacht geformt, gesungen, gespuckt, gegrollt. Das verschmitzte Geschichtenerzählen aus seiner Radiosendung wirkt sich scheinbar auch auf seine Bühnenperformance aus. Für meinen Geschmack ist der Gesang zwar zu weit nach vorn gemischt, allerdings bin ich in Soundfragen kein Experte.
„It’s Alright, Ma“ ist (wie schon öfter zu lesen) ein erster Höhepunkt, die stärkste Version, die ich bisher gehört habe, dräuend, predigend, wie eine Lawine immer mehr Kraft aufnehmend. Bei „The Levee’s Gonna Break“ hört man ihm den Spaß am eigenen Text an, er wackelt wie von der Hummel gestochen vorm Keyboard herum und zelebriert den schwarzen Witz des Songs mit Genuß; wenn ich ein Fernglas gehabt hätte, hätte ich schwören können, er grinst. Überhaupt, die neuen Songs: Dylan singt sie! No more Silbenstakkato: Er gibt sich den Melodien hin, und es klingt einfach nur wunderschön und harmonisch. „Spirit on the Water“ und „Nettie Moore“ stechen raus, zwei ruhige, meditative Momente in dieser Show, bevor „Thunder on the Mountain“ das gut macht, was „Summer Days“ kurz vorher fast verbockt hätte: es rockt die liebe Hölle.
Ansonsten erfüllte die Setlist mir persönlich ein paar Träume: ein wunderbares „Don’t Think Twice“, „Tom Thumb’s Blues“ (mit Betonung auf Blues), und last not least mein ewiger Wunsch, „Desolation Row“. Zwar lässt er ausgerechnet meine Lieblingsstrophe aus („Ophelia, she’s neath the window…“), aber der Song ist so exquisit instrumentiert, so leichtfüßig und doch melancholisch, dass ich es beinah überhöre. „My Back Pages“, ein weiterer Traumkandidat, ist mir hingegen etwas zu eintönig hingesprochen, und auch mit „Tangled Up in Blue“ gibt’s ein paar Probleme: Dylan hadert mit dem Mikro, in den ersten zwei Strophen ist der Gesangt zerhackt, danach findet er m.E. nicht mehr richtig in den Text. Gefreut hat’s mich trotzdem. Größte Überraschung war für mich „Blowin’ in the Wind“, noch größere Überraschung, dass ich diese schleppende Version sogar ganz gern hatte. Der obligatorische Rausschmiss geriet mit „All Along the Watchtower“ recht energisch, Dylan feuert Halbzeilen wie Kanonenkugeln ins Publikum, das den Rhythmus dankend aufnahm und mitgrölte.
Beim Rausgehen die üblichen Kommentare: „Was für eine geile Gitarre!“ „Was für eine beschissene Gitarre!“ „Die Stimme wird immer besser!“ „Peinlich, dieses Gekrächzte.“ „Die 50 Euro hatte ich schon nach drei Songs wieder raus.“ „Legende, toll, aber 50 Euro für sowas?“ „Komm jetzt, Schatz, sonst sind wir morgen noch nicht hier raus!“ Draußen auf der Straße bekam ich noch mit, wie eine gut geliftete 60jährige in ihr Handy schwärmte: „Wenn er demnächst mal bei dir in der Gegend auftritt, geh hin! Er ist zwar schon alt, aber immer noch soooo erooootisch!“
Fand ich zwar nicht, aber das Konzert, das hat sich mal wieder gelohnt.

--