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Ein Museum auf Tour
Musikgeschichte zum Anschauen, nicht zum Fotografieren: Bob Dylan in Leipzig
Von Peter Krutsch
Seit Jahren ist er für den Literaturnobelpreis im Gespräch, bekommen hat er ihn nicht. Nun, wenn es um Bekanntheit geht, kann Bob Dylan auf die renommierte Auszeichnung ganz gut verzichten – er ist längst selbst ein weltweiter relevanter Teil der Kultur des 20. Jahrhunderts geworden. Trotzdem macht er weiter, nimmt Platten auf und geht auf Tour. Die aktuelle führte ihn am Mittwochabend nach Leipzig in die Arena. Und zeigte einmal mehr, warum etliche Kritiker ihn vor allem als Erneuerer des Liederschreibens feiern, weniger als Musiker der handwerklichen Extraklasse. Weil er Ersteres ist, Zweiteres nicht. Dylan – das ist ein Leben auf der Suche nach dem perfekten Song. Etliche Male hat er ihn gefunden, etliche Musiker hat er damit beeinflusst, etliche Mythen dabei geschaffen.
Jetzt steht er da, in der Arena, die durchaus noch Platz für ein paar Gäste mehr hat. Ein singendes, klingendes Ein-Mann-Museum. Ein Stück Geschichte. Aber nur zum Anhören und Anschauen. Fotografieren verboten. Selbst für die Presse. Ziemlich albern, das. Na ja, immerhin, er ist da, wie Konzertplakat versprach: „Bob Dylan – in person“.
Wieder mit Gitarre
Mehr noch: Er tritt wieder mit Gitarre auf. Für geneigte Fans und die keineswegs geringe Menge mit wissenschaftlicher Akribie eifrig forschender Dylanologen eine wichtige Entdeckung, nachdem der großen Eigensinnige zuletzt nur noch ein kleines Keyboard bedient und dies mit altersbedingtem Verschleiß begründet hatte. „Der Rücken!“ Nun hängt sie wieder vor seinem Bauch, die gute alte Fender-Gitarre. Auch mit 65 Jahren: Nichts da mit Rocker-Rente.
Auf der schwach ausgeleuchteten Bühne stehen sechs Herren in dunklen Jacketts und verrichten einen soliden Job, mehr nicht: Zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, Keyboard, der Mann ganz hinten, Donnie Herron, bearbeitet wahlweise Steel-Guitar, elektrische Mandoline oder Violine. Der weiß behütete Chef wirkt wie aus einer historischen Aufnahme des French Quarter in New Orleans herausgeschnitten. Zeitlos elegant.
Bald legt er die Fender ab und setzt sich an Keyboard, wo er im Laufe des Abends sogar manchmal rhythmische Bewegungen vollführt. Für Dylans Verhältnisse ein Emotionsausbruch – verdammt, und es gibt kein Foto davon!
Ganz oben im Tourgepäck hat der Mann mit der knarzigen Stimme die Songs seines Albums „Modern Times“, mit dem er nach 30 Jahren wieder an die Spitze der US-Charts gelangte, was vor ihm niemand schaffte. Dabei ist es keine überdurchschnittliche Platte geworden. Viel wurde darüber debattiert, dass er sich hier fremder Quellen bedient, beispielsweise bei den Blues-Urvätern in die Vollen greift. Okay, man kann die Scheibe als angenehme Reise durch die amerikanische Stilgeschichte sehen, aber ein Track wie „Rollin’ And Thumblin’“, der auf Robert Johnsons „If I Had Posession“ basiert, übertrifft das Original keineswegs. Wer braucht diese Version? Auch live kommt das Stück, das eigentlich das Zeug zur vorwärts ratternden Dampflok hat, nicht recht in die Gänge.
Immer dann, wenn die einzelnen Instrumente sich nicht gegenseitig erdrücken, dem anderen Raum lassen, wird plötzlich aus weniger mehr. Schnörkellos leicht geben die drei Balladen der aktuellen Platte dem Abend gelassene Größe: das elegische „When the Deal Goes Down“, das zarte „Spirit On The Water“ und die nette Folk-Liebesklage „Nettie Moore“. Selbst ein Klassiker wie „Blowin’ In The Wind“ wird in ein softiges, bluesiges Arrangement gehüllt.
Das Schöne an Dylan: Verlassen kann man sich auf ihm nur darauf, dass man sich auf nichts verlassen kann – außer auf seine Kauzigkeit und Ansagefaulheit. Da bleibt er sich auch in Leipzig treu. Vielleicht ist dieses (mitunter auch etwas nervig wirkende) Anti-Star-Gehabe auch ein Grund seines Erfolgs. Dylan, der Unangepasste. Er nimmt sich das Recht heraus, nur über seine Kunst definiert zu werden, biedert sich nirgendwo an. Ansonsten bleibt er ein wandelndes Geheimnis. Und das ist auch gut so. Ein enträtseltes Rätsel gibt nichts mehr her.
Enttrivialisierung des Rock n’ Roll
„Bob befreite den Geist auf dieselbe Art, wie Elvis den Körper befreit hat“, sagt Bruce Springsteen über ihn. Hüftschwünge hat der Folk- und Rock-Dichter, der die Song-Kultur in Richtung Bewusstseinsstrom, Symbolik und Deutungsvielfalt geöffnet und damit nichts anderes als die Enttrivialisierung des Rock n’ Roll eingeleitet hat, vor seinen Fans nicht nötig hat.
Was keinenfalls heißt, er könne es im Konzert nicht richtig krachen lassen. Gerade als man denkt, der alte Herr habe das Rocken verlernt, knallt er ein kraftvolles „Highway 61 Revisited“ aus den Boxen. Doch das Entzücken verfliegt so schnell wie es kam, weil schon kurze Zeit später ein druckloses „All Along The Watchtower“ in dekonstruktivistischer Version die Vorstellung beendet. Die Bühne wird dunkel. Im Ein-Mann-Museum brennt, so viel ist nach diesem Abend klar, noch Licht. Aber die aktuelle Ausstellung ist keineswegs preisverdächtig.
Leipziger Volkszeitung, 04.05.2007, Seite 11
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LARS ist nur eine Abkürzung: Like A Rollin' Stone