Re: Bob Dylan 20.04.2007 Stuttgart

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annamax

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Der Kollege Riediger von den Stuttgarter Nachrichten war offensichtlich auf einem anderen Konzert als Kollege Ahlers von der Südwestpresse.
Am allerschlimmsten ist aber: Ich war nicht dabei und konnte mir kein eigenes (Klang-) Bild machen. Mist!

Bob Dylan

Da ist er wieder, dieser uralte Swing

Stuttgart – Für den Literaturnobelpreis ist er schon länger im Gespräch, und ein Ansager, wie stets auf seiner „Never ending tour“, kündigt ihn auch in Stuttgart als „the poet of Rock“n“Roll“ an, während jeder in der nahezu ausverkauften Porsche-Arena gefasst ist auf Tiefsinniges, Gehaltvolles, womöglich Prophetisches.

Aber Bob Dylan will nur spielen. Erst Gitarre, dann Hammondorgel. Und mit vielerlei: mit den Ausdrucksformen amerikanischer Musik, dem eigenen Image, seiner Phrasierung und Intonation. Vor allem mit seinen Songs, die klingen wie frisch geschrieben und immer noch nicht ganz fertig, Blaupausen für Veränderungen und Verfremdungen, für ein ständiges Spiel mit Song-Strukturen und Song-Absichten.

Dafür hat Bob Dylan jene Musiker dabei, mit denen er schon sein Album „Modern Times“ einspielte, sein Comeback an die Spitze der US-Albumcharts. Eine fähige Truppe ausgewiesener Spielmänner in roten Anzügen und mit Hüten wie er. Dylan tritt ganz in Schwarz als Leiter seines eigenen Spielkreises auf, in gestreiften Hosen und Stiefeln, die im Takt stampfen, nachdem sich die Band eingespielt hat, dabei unfertige, scheppernde Sounds nicht scheuend.

Durch und durch Musiker ist Bob Dylan mit dieser Band, nicht in erster Linie Dichter und Denker, trotz oder gerade wegen des inhaltlichen Abgrunds seiner düsteren neuen Songs. Ein Mann, der einen in Bars mit dem Kopf wippen lässt, der diesen uralten Swing draufhat, diese Americana-Attitüde, ein tief verwurzeltes Wissen um Blues, Country und Rock, das ihm, mehr denn je, in den Fingern juckt.

Um dieses Jucken ausleben zu können, missachtet Dylan einmal mehr die Erwartungen seiner Fans. Sie haben ihn einst dafür gescholten, Rock“n“Roll statt Folk und die E- statt der A-Gitarre zu spielen, mit der Bibel statt irgendeines Manifestes als Inspiration. Diesmal schreit einer vor der Zugabe – als Dylan sich hinter der Hammondorgel allzu heimisch fühlte – so laut wie damals der berühmte „Judas!“-Rufer: „Spiel Gitarre!“ Dylan zuckt nicht mal die Achseln; er will sich weniger denn je die eigenen Spielregeln verbieten lassen.

Auf seiner Comeback-Tour 1974 schrie er Schlüsselzeilen besonders pointiert, geradezu prophetisch in die Menge, etwa die stark umjubelten Worte „Even the president of the U.S. / sometimes has to stand naked“. In Stuttgart aber ist er nicht Prophet, sondern nur Musiker und erneut ein besonders exzentrischer, um einen eigenen Ausdruck bemühter Sänger, der die Zeile vernuschelt, dafür auf andere sein Gewicht legt, indem er sie wie gegen seinen Willen rausspuckt, rausbellt, rausröchelt, wenn er nicht geradezu parodistisch seine Stimme am Ende einer Zeile erhebt, als verhöhne er ihre im Lauf der Zeit entstandene Überfrachtung mit Bedeutung. Und die Fans bekommen Riff-Rock-Arrangements von Stücken zu hören, die sie vermutlich erst nach ein paar Strophen erkannt haben

Nimmt Bob Dylan seine Songs nicht ernst? Nicht so wie mancher im Publikum, nicht wie die Dynologen, nicht als in eine feste Form gegossene Artefakte. Sondern als Knetmasse, die verändert werden will. Im Alter wird Bob Dylan zum Kind und entdeckt die Metaphysik des Spiels. Somit ist er, wenn man so will, zurück unter den Propheten. Und erneut das Sprachrohr einer Generation von jungen Alten, die immer nur spielen wollen.

Michael Riediger, STN vom 23.04.2007

http://www.stuttgarter-nachrichten.de/stn/page/detail.php/1233170

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I'm pretty good with the past. It's the present I can't understand.