Re: Bob Dylan 20.04.2007 Stuttgart

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annamax

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Der Kollege von der Südwestpresse war nicht so begeistert (vgl. unten). Allerdings fällt diese Zeitung eher selten durch hochwertige Rock- und Popberichterstattung auf.

KONZERT / Bob Dylan in Stuttgart

Metallisches Blech im Einheitsbrei

Auf seiner „nie endenden Tour“ war Bob Dylan mal wieder in Stuttgart, am 30. April kommt er nach Mannheim. Von der textlichen Intensivität seiner früheren Jahre ist wenig übrig geblieben. Wie über einen Kamm geschoren klingen seine Lieder im gleichförmigen Rhythmus.

DETLEV AHLERS

„Metallisch und strahlend golden“ nannte Bob Dylan seinen Musikstil 1978. So zitiert ihn der Biograph Heinrich Detering und schwärmt von einer „zugleich überwachen und schlafwandlerischen Stimme“. Am Freitag in der Stuttgarter Porsche-Arena war davon nur noch das Metallische zu hören. Seit 1988 ist Dylan, „die überragende Einzelgestalt der weißen Popularmusik“, wie ihn der Biograph Jens Rosteck nennt, auf seiner „nie endenden Tour“ unterwegs und findet und erfindet stets seine Lieder neu, indem er sie verliert.

Das Eindringliche der frühen Jahre, die melodische Anklage, in der er seine Texte intonieren konnte, ist von einem stimmlichen wie instrumentalen Einheitsbrei verkleistert, der fast alle der 17 vorgetragenen Songs in gleicher Art erklingen lässt – vom Schlagzeuger George Receli und dem Bassisten Tony Garnier vorangetrieben, ohne besondere Akzentsetzungen gesanglich vorgetragen und nur von einigen wenigen kurzen, aber starken Gitarrensoli Denny Freemans aufgeheitert. Alles in allem, sieht man davon ab, dass „Like A Rolling Stone“ wie eine Dichterlesung rezitiert wird, zwei volle Stunden lang ein Sound: rhythmisches Blech in einer „bedrückend abgeklärten Grundstimmung aus Verlassenheit, Trauer und Vergeblichkeit – abgrundtiefe Weltverlorenheit“, so nennt dies Rosteck.

Das Schlafwandlerische Dylans hat sich inzwischen zum Autismus gesteigert, „dabei findet ein Dialog mit dem Publikum außerhalb der Songs ebenso wenig statt wie eine Bühnenshow“, schreibt Detering. Auch ein Dialog mit den anderen Musikanten ist in Stuttgart nicht erkennbar. Der Wechsel der Scheinwerfer vom kalten Blau zum gleißenden Weiß ist das einzige Mätzchen, das die Show sich erlaubt.

Anders als auf der Tournee 2005, als sich Dylan in München in den Kreis der anderen Musikanten als einer unter Gleichen zurückzog, steht er jetzt in Stuttgart eindeutig im Mittelpunkt. Die dunkle Hose mit dem weißen Längsstreifen erinnert an die Nordstaaten-Uniform, der breite Cowboyhut hingegen an den Süden der USA.

Dylan wechselt von der Gitarre zum Keyboard, packt auch die Mundharmonika kurz aus. Er sei „gezwungen, gegen die artistische Brillanz der in die Band geholten Leadgitarristen seine berüchtigten Drei-Töne-Soli zu spielen. Mehr bringt er technisch nicht zustande“, schreibt Detering; nach dem Stuttgarter Konzert möchte man hinzufügen, dass auch seine Keyboard-Akkorde nicht reichhaltiger sind. Daraus ergibt sich aber die von Detering gehörte „mächtig aufstauende Grundspannung der Bluesharmonik, die von den begleitenden Instrumenten virtuos umspielt wird“.

Die beiden erwähnten neuen Biographien ergeben zusammen einen umfangreichen, gründlichen Gesamteindruck dieser nicht nur ihrer Länge wegen einzigartigen Künstlerkarriere. Während Detering mehr über die Musik und deren Stil schreibt, erspürt Rosteck eher das Phänomen des Songwriters und steigt tief in Dylans Lyrik ein. Sie hat die Zeit und die Stimmung der Welt verändert, doch Dylan will – zumindest in Stuttgart – davon nichts mehr hören lassen. Bis auf „Its Alright, Ma“, „All Along The Watchtower“, „It Aint Me“, dem erwähnten „Rolling Stone“ und einer rasanten Fahrt auf dem „Highway 61“ beschränkt er sich auf die weniger im Gedächtnis haftenden Stücke der letzten zehn Jahre, deren Texte man im gleichförmigen Genuschel beim besten Willen kaum erahnen kann.

– Jens Rosteck: Bob Dylan; Suhrkamp 2006, 160 Seiten, 7.90 Euro.
– Heinrich Detering: Bob Dylan; Reclam 2007, 184 Seiten, 4.80 Euro.

Erscheinungsdatum: Montag 23.04.2007
Quelle: http://www.suedwest-aktiv.de/

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I'm pretty good with the past. It's the present I can't understand.