Re: Blumfeld – Abschiedstour

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masureneagle

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„Tausend Tränen tief“: Die Band Blumfeld nimmt in Schorndorf Abschied

Die letzten Eintragungen ins Nichts

Verträumt schnippt er mit dem Finger, wiegt sich in den Hüften, umgarnt einen mit sanften Harmonien und singt davon, sich umschlungen zu halten, bis der Tag erwacht, und sich zu küssen wie zum ersten Mal. Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer spielt den Schlager-Alleinunterhalter, als er für die Zugabe zurück auf die Bühne der Künkelin-Halle in Schorndorf kommt.

Das eben noch lautstark applaudierende Publikum wird andächtig still, als Distelmeyer „Tausend Tränen tief“ zum Playback singt. Erst nach drei Strophen kommt der Rest der Band hinzu – ersetzt die Musik aus der Konserve, lässt den Song schließlich in einem betrübten Blueslick enden, nimmt der zarten Ballade zwar die Opulenz, nicht aber die euphorische Melancholie, die eigentlich jeden Song dieses Abschiedskonzerts der Hamburger Band Blumfeld durchdringt.

Zwar gibt sich Distelmeyer, der Blumfeld 1990 gegründet hat, abseits seiner Lieder unsentimental-ironisch, begrüßt das Publikum als „sehr geehrte Festgemeinde“, spielt zum wild twistenden „Der Apfelmann“ den Spaßmacher. Doch die Wehmut darüber, dass sich Blumfeld nach dieser Tour auflösen werden, wischt er damit nicht weg. „Warum?“, hatten verzweifelte Fans bei früheren Konzerten immer wieder gerufen.

Altersweise entspannt zeigt sich die Band

Inzwischen scheint man sich mit Distelmeyers Entscheidung abgefunden zu haben. „Warum?“, ruft an diesem Abend zwar keiner, dafür kreischt jemand irgendwann einmal: „Schneller!“ Tatsächlich haben Blumfeld, die wohl wichtigste deutsche Band der vergangenen 20 Jahre, das Tempo ihrer musikalischen Inszenierungen gedrosselt. Vom zornigen Postpunk des Frühwerks ist kaum etwas übrig. Selbst als die Band in Schorndorf alte Nummern wie „2 oder 3 Dinge, die ich von Dir weiß“ oder „Ich – wie es wirklich war“ spielt, wirken diese jetzt altersweise entspannt und weniger aufrührerisch.

Der Sturm und Drang ist längst einer impressionistischen Lyrik und filigranen Soundarchitektur gewichen. Distelmeyer singt vom Sternenstaub, von Eintragungen ins Nichts, davon, sich zu wünschen, ein Stein zu sein. Und als Gitarrist unterlegt er mit Vredeber Albrecht am Keyboard, Lars Precht am Bass und Andre Rattay am Schlagzeug die Songs mit einem facettenreichen Klangteppich, türmt Kadenzen auf, lässt Harmomen sich überlappen.

Etwa im Klassiker „Verstärker“ vom zweiten Blumfeld-Album „L’etat et moi“ (1994), den sich die Band für die Zugaben aufgehoben hat, und der beim Konzert in Schorndorf einige Verwandlungen erfährt. Er beginnt mit einem zart klimpernden Klavier und einer funkigen Gitarre, wird dann zur Rückkopplungsorgie, endet schließlich in elegischem Säusem, das der Zitate-Fan Distelmeyer mit Cole Porter ausklingen lässt: „Everytime we say goodbye, I die a little“, singt er. Und als das Licht angeht in der Halle, glaubt man, in lauter tränennasse Gesichter zu blicken.

Stuttgarter Nachrichten 21. Mai 2007 von Günther Reinhardt

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