Re: Blumfeld – Abschiedstour

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sebsemilia

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Mir hat das konzert in heidelberg sehr gut gefallen. schon erstaunlich, mit welcher spielfreude sie jeden abend auf die bühne kommen. mir schien es, als würde distelmeyer „weil es liebe ist“ für jemanden speziellen singen. bei jeder zeile hat er gegrinst, geschmunzelt oder mit dem kopf genickt.
viel besser als auf dem album auch wieder „april“, nur mit gitarre und klavier. es gab fast die gleichen songs, wie einen tag davor in frankfurt. nur armer irrer hat gefehelt, der mir in der live version auch sehr gut gefällt. denke das wurde gespielt:

Intro
Draußen auf Kaution
Mein System
kennt keine Grenzen
2 oder 3 Dinge, die ich von dir weiß
Weil es Liebe ist
Ich – wie es wirklich war
Tics
Der Apfelmann
Wir sind frei
Eintragung ins Nichts
In der Wirklichkeit
Der Sturm
Sonntag
Die Diktatur der Angepassten
So lebe ich

Zugaben #1:
Tausend Tränen tief/Take a bow
Viel zu früh und immer wieder;
Liebeslieder
Penismonolog
Zeittotschläger
Graue Wolken
Kommst Du mit in den Alltag
Verstärker/Electric guitars/Everytime we say goodbye

Zugaben #2:
April
Die Welt ist schön

Ein Bereicht aus Frankfurt:

Frankfurter RundschauKeine Ahnung, wie viele Abende damit verbracht wurden, das Ende von Blumfeld zu diskutieren. Im Abschied waren sie uns noch einmal ganz nahe, gegenwärtig. Die wichtigste deutschsprachige Band unserer Generation, das war uns klar. Die schlaueste. Die weitsichtigste. Die alles verhandelt hat, was wichtig erschien: Politik. Identität. Sexualität. Aber eben auch die widersprüchlichste. Die uns am meisten enttäuscht hat. Das Ausmaß der Identifikation erlaubte keinen Mittelweg. Einfach okay finden, konnte man Jochen Distelmeyer nicht. Also lehnten wir ab, was seit Old Nobody entstand. Wir wollten nicht mit in den Alltag.

Immer wieder auch stand die Frage im Raum, wie Distelmeyer den Abschied inszenieren würde. In Ansagen verzettelt, monologisierend, sich erklärend, rückblickend, nostalgisch? Clean, routiniert, alles der Musik überlassend? Und überhaupt: die Dramaturgie, der Ablauf der Songs? Chronologisch, eine Entwicklung verfolgend, Stringenz, Kontinuität behauptend? Oder gar rückwärts, von den Verbotenen Früchten zur Ich-Maschine?

Draußen wurde es hell, der Versuch, Testament der Angst durchzuhören, scheiterte. Immer wieder lief L’état et moi. Ein Freund sagt, Blumfelds Ende begann in dem Augenblick, als die Keyboards zum festen Bestandteil des Bandsounds wurden. Eine schöne, apodiktische These. Und nach dem Konzert im Mousonturm, nach Blumfelds letzter Runde, wie Distelmeyer einmal in die ergriffene Versammlung hinein ruft, glaube ich, sie ist wahr.

Das Charisma des Bühnentiers

Zuerst die Eckdaten: zweieinhalb Stunden Konzert, knapp 25 Songs, kaum Ansagen. Den Anfang macht „Draußen auf Kaution“. Die erste Zugabe: „Tausend Tränen tief“. „Verstärker“ ist der letzte große Song, danach noch ein leiser Abgesang. Auf den ersten Blick klingt das fast zu vorsehbar, nach den üblichen Verdächtigen, nach routinierter Konzertdramaturgie. Umgekehrt aber ist die Wirkung immens. Blumfeld, die angebliche Lieblingsband angeblicher Popintellektueller, waren live nie bloß Diskursband, sondern immer auch ganz dem Entertainment verpflichtet. Und eine Gestalt wie Distelmeyer lebte auch vom Charisma des Bühnentiers. Das ist heute, zum Abschied, nicht anders.

Blaue Jeans, schwarzes Hemd. Distelmeyer trägt das Outfit, das ihn seit Old Nobody kennzeichnet. „Draußen auf Kaution“ trägt er eine Spur verschleppt vor, langsamer als auf Platte, weniger deklamierend, mehr singend. Es ist, als zöge auch hier die spätere Helligkeit ein, weiche die Dringlichkeit des Frühwerks auf. Das aber ist nur eine Momentaufnahme. Das Konzert trägt keine Anzeichen von Verwässerung. Zugleich geht es nie offensichtlich um Nostalgie, zumindest nicht dem Quintett auf der Bühne. Blumfeld sehnt sich nicht nach einer Rolle, die sie einmal innehatten. Sie haben sie bewusst abgelegt. An Härte und Subversion als Insignien alternativer Popmusik glaubten sie irgendwann nicht mehr. Zigmal mussten sie sich deshalb erklären, rechtfertigen. Heute sagen sie nichts, machen nur Musik.

Anfangs arbeitet sich das Konzert eher am Frühwerk ab, ohne dabei strenge Chronologie zu bewahren. „Tics“ ist der erste Song des letzten Albums, das Verbotene Früchte heißt und wie alles in den letzten Jahren kontrovers aufgenommen wurde. Die alte Frage taucht für einen Moment wieder auf: Ist das nun Reife oder Rückzug? Das Keyboard antwortet mit vordergründiger Belanglosigkeit. Auch wenn man Härte ablehnt und die eigene Gelassenheit entdeckt, so einfach darf man es sich musikalisch nicht machen. Und in nichts manifestiert sich die Wende so sehr wie in eben diesem wattig-weichen Keyboardsound, der die ganze kantige, kämpferische Dringlichkeit der alten Rockgitarre aufgesogen und zur Unkenntlichkeit umhüllt hat.

Sie kommen und gehen ungefragt

Was bleibt, sind großartige Zeilen. Im Gefühl des Abschieds bekommt manches eine neue Farbe. „Komm, sag es allen: wir sind frei!“, singt Distelmeyer und fordert den seit Wochen ausverkauften Mousonturm auf, in den Refrain einzustimmen. „Wir kommen ungefragt und gehen ungefragt“, heißt es später bei „Eintragung ins Nichts“, und Distelmeyer fügt abseits vom Songtext hinzu: „Man muss auch loslassen können.“ Mehr Pathos kommt nicht über seine Lippen.

Dafür greift die Musik mithin groß aus. Coverversionen mischen sich in bekannte Songs, Bob Dylan klingt durch, in den Verstärker, bei dem sich wie aus einem alten Reflex heraus ein paar Fäuste gen Himmel recken, schieben sich „Prefab Sprout“ hinein und ein paar Zeilen von „Every time we say goodbye“. Das ist ein durchaus kitschiger Moment. Und ein erhabener. Danach klatscht Distelmeyer lange in sein Publikum. Er sieht glücklich aus.

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Look out kid You're gonna get hit