Re: The Rolling Stones Europa Tour 2007!!

#5622491  | PERMALINK

j-w
Moderator
maximum rhythm & blues

Registriert seit: 09.07.2002

Beiträge: 40,466

Wenn’s am schönsten ist soll man ja bekanntlich aufhören. Einen Binsenweisheit aus der Phrasendreschmaschine, die jeden, der sie ernsthaft versucht zu beherzigen, vor große Probleme stellt. Geht noch mehr? Geht noch was? Oder geht’s zu Ende? Es spricht einiges dafür, dass die Stones sich diese Frage nie wirklich gestellt haben, sondern einfach ihren Instinkten vertrauen wenn es um die Frage geht: Noch ’ne Tour?
Und was wurde diskutiert, ob sie’s wirklich noch bringen, ob Keith noch kann, ob Charlie noch will und ob Ronnie trocken bleibt, nur bei Mick da gab es keinen Zweifel, he’s taken for granted. „Ja, klar Jagger ist schon klasse,…“ Und ob. Und da ist es dann auch völlig Banane ob er einen Einsatz bei Let’s spend the night together verpasst oder zum wiederholten Male statt der ersten Strophe von Rocks off die zweite singt (wahrscheinlich steht’s einfach falsch auf dem Teleprompter, immerhin hat er den Song dem richtigen Album zugeordnet, was ja auch keine Selbstverständlichkeit ist). Auf welchem Niveau Mick auf dieser Tour wieder den Frontmann gibt, ist atemberaubend. Nur: Er ist halt immer großartig und leistet sich keine Formkurven wie seine Gitarristen öfters mal. Musste noch mal gesagt werden.

Und Keith? Zu Beginn der aktuellen Tour haben sich viele Sorgen um ihn gemacht, durchaus auch berechtigt – wie etwa die zweite Stunde in Frankfurt ihn nicht gerade auf der Höhe seine Kunst zeigte. Gestern in Hamburg war er präsent, versemmelte kein Intro und rockte den Laden. Noch nie habe ich seine Gitarre bei Midnight Rambler so laut, so kraftvoll bluesig verzerrt, so urwüchsig und so intensiv wahrgenommen wie gestern. Jede Nuance seiner Blueslicks kam rüber als hätte er seinen voll aufgedrehten Fendercombo 5 Meter vor mir platziert. Und dann fingen sie an zu jammen. Wirklich frei, nicht diesen Jam in der Mitte des Liedes, den man als kundiger Stonesfan schon auswendig zu kennen glaubt, nein, auf einmal geben sie dem Lied Raum sich zu entfalten, lassen den Song in Ecken schauen, in denen er noch nicht war, und bleiben trotzdem tight, finden einen gemeinsamen Übergang in den nächsten Part und lassen das Publikum verzückt jubeln und johlen ob der unglaublichen Kraft, die sich aus diesen Tönen ergibt. Jagger flüstert, schreit und natürlich „Everybody in Hamburg go WOOOOOOWWWWW!“ Mehr geht nicht.

Aber der Rest war auch großartig, allen voran die Setliste! Sie haben tatsächlich You got me rocking weggelassen, diese fast schon Parodie auf einen Stonessong, die in den letzten Jahren immer im Set war wenn ich sie sah. Und sie haben stattdessen die ungleich großartigere Nummer von Voodoo Lounge, Love is strong, gespielt, in einer wunderbaren Version mit Keiths elegant entspannter Gitarre, Woodies scharfen Einwürfen und Jaggers phantastischer Bluesharp (noch ein dickes Plus der Setliste: Zwei Songs mit Harp!). Und als Ballade gab es eine tolle Version von Ruby Tuesday, exzellente Wahl, zwar nicht im Original-Single-Doppelpack unmittelbar nach Let’s spend the night together wie letztes Jahr in Stuttgart, aber trotzdem genau zum rechten Zeitpunkt. Der Sound war mittlerweile (jedenfalls im Innenraum) prima, die Sonne lang untergegangen und die Bühne leuchtete wie ein bunter Blumenstrauß der das Stadionrund zu umschlingen schien. Das James Brown-Cover I’ll go crazy gab dem Konzert eine schöne Dosis Soul und Lisa Fischer die Gelegenheit ihre Stimme in Höhen zu bewegen, die immer wieder beeindrucken. Gefiel mir besser als in Frankfurt, was aber bestimmt auch zu großen Teilen am ungleich besseren Sound und meiner größeren Nähe zur Bühne lag. Tumbling Dice wurde wieder von Woodies „neuem“ Solo veredelt – da gab es in den letzten Wochen mitunter skurille Kommentare von Stonesfans im Internet zu lesen: Woodie habe ein tolles Solo gespielt, aber leider das falsche! Selber schuld, wenn man es wagt nach 30 Jahren mal was zu verändern. Keith wollte es ihm gleich tun und auch mal ein „neues“ Solo bei dem Song wagen, scheiterte jedoch grandios dabei! Es sollte aber sein einziger „minor fuck-up“ des Abends bleiben.

Ein weiterer Höhepunkt kam mit You got the silver, das Keith sehr berührend sang, und dabei phantastisch von Ronnie an einer 12-saitigen Slideguitar begleitet wurde. Ich hoffe sehr, dass diese Version noch einmal in einer schönen Liveaufnahme auf den Markt kommt. Allein dieser Song würde ein weiteres Livealbum rechtfertigen. Bei Wanna hold you hatte Keith zwar eine Gitarre umhängen, spielte aber nur das Intro und am Schluss und konzentrierte sich auf den Gesang, eine weise Entscheidung, wenn man noch das Debakel von Frankfurt vor Augen hat. Die zweite E-Gitarre spielte bei dem Lied übrigens Backgroundsänger Blondie Chaplin, der jedoch nicht, wie in manchen Stonesforen im Internet gemutmaßelt wurde, die ganze Zeit über Keiths Riffs unterstützte, sondern nur ab und an noch eine Akustikgitarre hinzufügte.

Ein weiteres Indiz dafür, dass in den letzten Wochen Keith wohl häufiger Formschwankungen hatte, war dass Woodie das Intro von Honky tonk woman mitspielte, was ja sonst ein absolutes nono gewesen wäre – die Licks kamen schon von Keith allein, aber die rhythmischen G-Akkorde spielten beide. Zu dem Zeitpunkt waren sie natürlich mit ihrer kleinen Reisebühne in die Mitte der Arena gefahren um dem Konzert eine willkommene Abwechslung zu geben. Und das große Finale mit den Knallern, die manche nicht mehr hören wollen, aber alle dann doch mitsingen, geriet äußerst gelungen. Die Gitarren waren unglaublich laut für Stonesverhältnisse, was aber den Songs sehr zugute kam, Keith und Woodie waren beide top on form, auch Sympathy for the devil, das in Frankfurt völlig auseinander zu fallen drohte, kam mitreißend, Keiths Soloarbeit war allemal respektabel, angenehmerweise wieder nah an der Studioversion orientiert und nicht so fahrig verdaddelt wie so oft auf den letzten Touren. Ihre „aktuelle Hitsingle“ (und unser Turniersieger!) Paint it, black geriet fulminant, Woodies Sitarguitar, endlich so weit in den Vordergrund gemischt wie sie auch gehört, ließ den Song näher am Original klingen als auf vorherigen Tourneen. Jumpin’ Jack Flash rollte machtvoll und auch die Zugabe Brown Sugar riss das Stadion noch einmal gewaltig mit. Während des Liedes habe ich mir schon bewusst gemacht, dass dies mit einiger Wahrscheinlichkeit das letzte Lied ist, das mir vergönnt ist von meiner Lieblingsband live zu sehen und zu hören. Es war ein schöner Abschied mit vielen wunderbaren Eindrücken, die mich noch lange begleiten werden.
Nach dem Konzert kam es dann noch zu einem netten kurzen Treffen mit anderen Forumianern, die auch in oder vor dem Stadion waren. Leider waren die Umstände der einzelnen bezüglich der Heimfahrt so unterschiedlich, dass ein längeres Beisammensein mit allen nicht mehr möglich war. Tina, songbird,Joshua Tree, atom, gerry, Hat and girlfriend, tops und die Berliner Fahrgemeinschaft, ich hoffe Ihr seid alle gut nach Hause gekommen, Jan und ich hatten einen schnellen Anschluss und Clau – wo warst Du die ganze Zeit?????

--

Staring at a grey sky, try to paint it blue - Teenage Blue