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Für diesen vierten und vorläufig letzten Teil der Twang! Story hab’ ich mir zugegebenermaßen ganz schön viel Zeit gelassen. Immer kam was dazwischen, und dann hatte ich die Sache schon wieder fast vergessen. Nun aber! – Wir sind noch immer im Jahr 1995 und bei der Doppel CD + 7“ Box, die einen schönen Querschnitt dessen bot, was auf Twang! so möglich war und ist.
01. Bad Night – The What…For! (D, 1987/1995)
Berlins und Deutschlands beste Neo-Sixties Combo kennt der geneigte Hörer ja schon. Abgesehen von ein paar technisch eher zweifelhaften Live-Tracks auf einer streng limitierten Compilation aus dem Jahr 1986 erschien ihre erste richtige Platte 1987 als 4-Track EP auf Miss-Take Records, einem Skinhead Label aus Berlin. Diese EP war auf 500 Stück limitiert und ist längst vergriffen. Sie war auch schon 1995 vergriffen und durchaus gesucht. Darum nahm ich den besten Track der EP und packte ihn auf meine Compilation.
02. You Make Me Sick – The Pop Tarts (D, 1995)
Die Pop Tarts das waren drei Riot Girls und mein Hausgrafiker Henni am Schlagzeug. Zwei der Mädels gingen damals noch zur Schule. Ihre Live Auftritte waren kurz aber immer ein besonderes Erlebnis. Sie spielten fast nie die gleichen Stücke und waren überhaupt für manche Überraschung gut. Ihre erste EP (von der dieser Track stammt) erschien auf ihrem eigenen Label Sport Rekord in zwei Auflagen, die zweite mit einem zensierten Cover. Später landete die Band bei Bungalow Records und trat sogar in Tokio live auf.
03. Not Strong Enough – Leeman (D, 1995)
Leeman war eine Art Berliner Super Group. Ralf Lehmann (g, voc) spielte in den 80ern bei The Smash, die stilistisch zwischen The Jam und The Clash changierten und leider nie eine Platte veröffentlichten, trotz England Tournee und Verhandlungen mit Major Firmen. Moses Schneider (bs, voc) war damals schon ein gefragter Session Musiker und ist heute als Produzent weit über Deutschland hinaus bekannt. Und Bernd Lauber (dr, voc) ist ebenfalls Session Musiker und Produzent. Zu dritt waren sie knapp drei Jahre lang Leeman. Eine Band irgendwo zwischen Grunge, Crossover und Britpop. Drei hervorragende Musiker, Songschreiber und Arrangeure mit jeder Menge toller Ideen. Ihr Debütalbum sollte eigentlich auf Twang! erscheinen. Aber kurz vor Erteilung des Pressauftrags löste die Band sich auf, und ich zog die Notbremse. Dieses Stück zeigt exemplarisch was die Welt verpasst hat.
04. Out Of My Mind – Mind Kiosk (D, 1995)
In der Sixties orientierten Musikszene Deutschlands waren Mind Kiosk aus Hildesheim Mitte der 90er Jahre eine der besten Bands. Sie hatten übrigens den selben Grafiker wie Kula Shaker und lagen auch musikalisch auf ähnlicher Wellenlänge. 1995 waren sie zusammen mit den von mir nach wie vor betreuten Lemonbabies auf Deutschland Tournee. Dieser Track stammt von ihrem ersten mini-Album, das auf Wunsch der Band nur als CD in Stecktasche erschien. Das Argument war damals, die nimmt man nach dem Konzert eher mit als eine unhandliche 12“ Platte. Nun ja, sehr schnell ausverkauft war die Scheibe tatsächlich.
05. Nothing I Can Do – The Lemonbabies (D, 1995)
Mit der ersten richtigen Langspielplatte „Pussy!Pop“ waren die Lemonbabies wohl nun erwachsen geworden. Die Platte erschien auch wieder als CD bei Sony und als LP auf Twang! Es war zugleich die letzte Platte mit der fast seit Bandgründung den Bass zupfenden Kaja. Und es war die erste Platte mit Kathy an der Orgel. Der Sound der Band hatte sich vom Sixties Girl Group Sound weg zu einem – wie sagt man – contemporary pop hin entwickelt. Dieser Track hier war die erste Single der Platte. Warum das damals kein Chart und Radio Hit wurde, verstehe ich bis heute nicht.
06. A Case Of Blues – The Heartbeats (D, 1995)
Auch The Heartbeats aus München waren inzwischen sozusagen erwachsen. Ihr erstes Album erschien auf Twang! im Herbst 1995, leider nur als CD. Für beide Formate reichte das Geld nicht. Und wie wir wissen, schien Mitte der 90er Jahre die CD das wichtigere, zumindest aber das schneller verkäufliche Format zu sein. Die Heartbeats waren auch nicht schlechter als andere nicht angloamerikanische Bands damals. Mit ihrem Songwriting und Sound zwischen Tom Petty und Britpop, Byrds und Kinks hätten sie gut auch im Radio laufen können. Hätte, könnte, sollte… war aber nicht. Die CDs sind trotzdem alle weg.
07. She’s A GoGo – The Early Hours (AUS, 1996)
The Early Hours aus Perth in Westaustralien lernte ich durch meine Kontakte zu Spinning Top Records kennen. Ihr Album war Down Under bereits als CD veröffentlicht. Auf Twang! erschien dann das Vinyl mit Bonustracks und extra neu gemastert. Die Band war begeistert von dem warmen, druckvollen Sound der Platte, die die CD absolut in den Schatten stellte. Zur Beat-O-Mania in München 1996 kam die Band extra nach Europa, und ich organisierte eine kleine Tour, damit sich die Flüge für die Jungs halbwegs amortisierten. Die LP nannten wir dreisterweise „Greatest Hits, Vol. 1“. Sie ist restlos ausverkauft und auch nur selten second hand zu finden.
08. Get To Grips – The Cybermen (FIN, 1996)
Nicht zu verwechseln mit einer gleichnamigen 80s Garage Combo aus Kalifornien waren die finnischen Cybermen lange die erste und einzige Sixties orientierte Band in ihrer Heimat. Musikalisch zwischen Beat, Ska und SciFi Sounds hatten sie auch optisch einen Hang zu Vintage Science Fiction. Ihre Platten erschienen auf ihrem eigenen Label Destination Uranus. Ihr zweites Album veröffentlichten sie selbst als CD und Twang! auf Vinyl. Von diesem Album „Needle’s Eye“ stammt dieser Track. Das Vinyl ist längst vergriffen. Die Band tourte regelmäßig durch halb Europa. Sie existiert aber seit einigen Jahren nicht mehr.
09. Come As You Are – Vintage Riot (D, 1996)
Auf den ersten Blick ein Rockabilly Trio waren Vintage Riot aus Berlin. In der Szene sorgten ihre Ausflüge zu Beat, Punk und Pop allerdings schon manchmal für Irritationen. Diese Version von Kurt Cobains Klassiker nötigte selbst einem gewissen Rolling Stone Autor Respekt ab. „Da merkt man erst, was für ein guter Song das ist“, schrieb er in seiner Singles Rubrik im RS.
10. Hospital Waltz – Jalla Jalla (FIN, 1996)
Aus Rovaniemi, der Hauptstadt Lapplands, kommen Jalla Jalla. Eine großartige und vor allem liebenswerte Punk, Pop, Ska Combo, deren Platten eigentlich bei Hiljaiset Levyt, dem Label meines finnischen Freunds Jukka Junttila, erschienen. Jalla Jalla ist Arabisch und heißt so etwas wie „Los, los – vorwärts!“ Zur Band fallen mir zahlreiche Anekdoten ein, für die hier jetzt leider kein Platz ist. Diese Single war mehr oder weniger ein Geschenk an meinen Freund Jukka. Der Track ist aber auch einer meiner liebsten der Band. Es gibt noch Exemplare.
11. We’re Not Getting Through – The Grip Weeds (USA, 1996)
Die zweite Single der Grip Weeds aus New York / New Jersey erschien im Herbst 1996 als Vorbote eines neuen Albums, das dann allerdings doch noch etwas auf sich warten ließ. Nichtsdestotrotz unterscheidet sich die Single Version von der des Albums etwas. Und auf der B-Seite der längst vergriffenen 7“45 gab es eine Grip Weeds Version des The Move Klassikers „I Can Hear The Grass Grow“.
12. Mrs. Bobbit – Thee Ultra Bimboos (FIN, 1996)
Die Ultra Bimboos waren eine Garage Girl Group aus Helsinki. Ich lernte sie bei ihren ersten Gigs in Berlin kennen und bot ihnen sofort eine Zusammenarbeit an. „Mrs. Bobbit“ ist ein Song über die Frau, die ihrem gewalttätigen Ehemann den Schwanz abschnitt. Der Titel erschien auf einer 5-Track EP auf Twang!, deren 500er Auflage binnen weniger Wochen vergriffen war.
13. Turn Back Time Mind Kiosk (D, 1997)
Auch das zweite mini-Album von Mind Kiosk aus Hildesheim erschien auf Wunsch der Band in einer Stecktasche als CD. Die Besetzung der Band hatte sich zwar verändert, aber der Sound war immer noch stark Sixties orientiert, irgendwo zwischen Small Faces und Zombies, mit dominanter Orgel, wunderbaren Gitarrenlicks und betörenden Melodien. Im Jahr 2001 erschien ein großartiges Vinyl Album der Band bei Swamp Room Records in Hannover. Aber wegen eines Rechtsstreits zwischen Band und Label wurde fast die gesamte Auflage eingestampft. Vermutlich eine der größten Raritäten der deutschen Neo-Sixties Szene, deren Wert sich wohl erst noch erweisen muss. Die Band löste sich nach diesem Streit übrigens auf.
14. Nine Inch Heels – Thee Ultra Bimboos (FIN, 1998)
Das erste Album der Ultra Bimboos war lediglich eine CD Compilation ihrer zuvor auf Vinyl Singles und EPs erschienenen Tracks. Insofern war also „Supermess“ ihr eigentliches Debütalbum, das im Frühsommer 1998 auf Twang! erschien. Die Vinylversion wurde samt Cover in Tschechien hergestellt. Keine so gute Idee, wie sich herausstellte. Zwar preisgünstig, aber Druck und Papierqualität wie zu sozialistischen Zeiten. Musikalisch jedoch immer noch ganz formidabel. Ganz im Stil von The Cramps, Dead Moon oder Tav Falco’s Panther Burns. Die Ultra Bimboos veröffentlichten danach noch ein Album bei Stupido Records in Finnland bzw. das Vinyl bei Thunderbaby Records in Düsseldorf. Und ihr drittes Album erschien dann bei Universal Finnland. Als der erhoffte große Erfolg ausblieb, löste die Band sich auf.
15. Dagger Of Love – Larry And The Lefthanded (FIN, 1998)
Angefangen hatten Larry und seine Linkshänder als Garage Punk Combo mit 7“ Singles und EPs auf wechselnden Labels. Schon das Debütalbum der Finnen, das als 10“ LP erschien, deutete eine stilistische Veränderung an. Ihr Album „Quantum Rider“, dessen Vinylversion auf Twang! veröffentlicht wurde, stellte den Höhepunkt dieser stilistischen Metamorphose dar. Garage Pop trifft auf Vintage Electronica, Trip Hop auf Country Rock. Die Band blieb auch dabei nicht stehen. Erst ging Larry verloren, und man nannte sich nur noch And The Lefthanded. Dann nannten sich die beiden Hauptprotagonisten der Band Opel Bastards und machten nur noch Electronica mit Vintage Instrumenten. Aktuell ist es jedoch ziemlich ruhig um die Band bzw. ihre ex-Musiker.
16. Angelina – Vintage Riot (D, 1998)
Wie gesagt keine typische Rockabilly Combo. Ihre Ausflüge zu Beat und Country Pop machten es der traditionellen Rock’n’Roll Szene schwer, die Band zu akzeptieren. Cover von Adriano Celentano, Frank Sinatra und den Sex Pistols halfen da auch nicht wirklich, Vertrauen zu schaffen. Das Album der Band mit dem schönen Titel „Una festa sui prati“ ist dennoch vergriffen. Der Bassist kam 2001 bei einem schweren Verkehrsunfall ums Leben. Die Schlagzeugerin und der Gitarrist musizieren heute nur noch privat, wenn überhaupt.
17. Every Minute – The Grip Weeds (USA, 2000)
Das zweite Album der Grip Weeds brauchte zwar etwas länger, aber dafür ist es auch ganz wundervoll geworden. Die CD erschien wieder auf ihrem eigenen Label Ground Up Records bereits 1999. Das Vinyl kam dann als Doppel-LP mit einem Bonustrack, neu gemastert und mit 45 UpM wegen der besseren Dynamik, im Mai 2000 auf Twang! raus in einem schönen Klappcover und mit einer extra Beilage auf Spezialpapier. Sehr edel das Ganze. Da die Band aber hier in Europa nach wie vor ein Geheimtipp ist und sie kaum jemand kennt, sind noch immer ganz schön viele Doppel-LPs in meinem B-Lager vorhanden. Die Band ist übrigens weiter aktiv und hat 2010 bereits ihr sechstes Album veröffentlicht auf Rainbow Quartz und diesmal auch wieder als Vinyl.
18. Not Fade Away – The Boots (D, 2007)
The Boots waren nach meiner bescheidenen Meinung die beste deutsche Band in den Sixties. Über sie wurde – nicht zuletzt von mir – bereits ausführlich geschrieben in Fanzines und im Internet. 2005, am 24 September, gab es einen einmaligen Re-Union Gig der Band im Berliner Quasimodo. Die beiden verstorbenen Bandmitglieder wurden durch adäquate etwas jüngere Musiker ersetzt, d.h. der Schlagzeuger Wolfgang Seidel ist ja auch nur unwesentlich jünger als Jörg „Jockel“ Schulte-Eckel und Bob Bresser. Der Gig war ein Ereignis, das man nicht vergessen wird. Punkt. Im Vorfeld gab es mehrfach Übungssessions in den Katakomben unter dem Flughafen Tempelhof, wo sich diverse Band Übungsräume befinden. Dort entstanden auch einige Aufnahmen, derer zwei schließlich für eine 7“ 45 ausgewählt wurden, die 2007 auf Twang! erschien. Man hört die Wurzeln, man merkt wo die Band herkommt. Aber man hört auch eine gewisse lässige Abgeklärtheit. Das hier sind Aufnahmen, die The Boots als 20-Jährige so wohl nicht gemacht hätten. Werner Krabbe, der legendäre Sänger der Band, war zwar beim Gig im Quasimodo zumindest im letzten Teil dabei, bei den Sessions in Tempelhof fehlte er jedoch leider.
19. Galaxy – Petting (D, 2007)
Ebenfalls 2007 erschien eine 7“45 der Berliner Band Petting. Die Band fragte mich, ob ich ihre Single veröffentlichen würde, wenn sie die Kosten komplett trügen, und ich war einverstanden. Organistin bei Petting ist Kathy, die ja mal bei den Lemonbabies war. Und auch die anderen Petting Musiker/innen kenne ich zum Teil schon länger. Pettings Sängerin stammt aus Frankreich, deshalb singt sie Französisch. Die Musik erinnert nicht zuletzt deshalb ein bisschen an den Yé-Yé Pop der Sixties.
Inzwischen sind Kathy und der Petting Bassist Michel bei der Band Más Shake, die mit Rodrigo Gonzalez als Frontmann südamerikanische Yé-Yé Musik macht.
Das war’s erstmal. Ob und wie es weiter geht mit Twang!, das erfährt der geneigte Leser, die geneigte Hörerin zu gegebener Zeit.
Wer die vier Compilation CDs verpennt hat, aber nun scharf darauf ist, PN genügt.
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Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!