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The Story of Twang! Records – Part Two
Wir sind im Herbst 1991. Drei 7“ EPs erschienen im Oktober gleichzeitig auf Twang! Die erste davon, die legendäre „Fresh’n’Fizzy“ EP der Lemonbabies, wurde ja schon im ersten Teil der Twang! Story vorgestellt. Neben der ebenfalls bereits erwähnten Tour mit The What…For! gab es eine Record Release Party auf der „Insel der Jugend“ in Treptow. Eine schon zu DDR Zeiten beliebte Spielstätte, die – allerdings in etwas veränderter Form – noch heute existiert. Dort auf der Insel, die übrigens tatsächlich eine Insel in der Spree ist, spielten also alle drei Bands, The Beat Godivas, The What…For! und The Lemonbabies. Es war voll, es war chaotisch, und es hat sehr viel Spaß gemacht!
01. Music And Audience – The Beat Godivas (D, 1991)
„You Know What Hot Means…” war der Obertitel der Beat Godivas EP, die trotz ihres Namens am wenigsten mit Beat Musik im Sixties Sinn zu tun hatten. Einflüsse waren eher Green On Red, R.E.M., The Walkabouts und diverse andere US College Rock Bands. Die Jungs waren damals gerade mit der Schule fertig. Ursprünglich hatten sie eine Leadsängerin, die ihnen allerdings sehr schnell von George Glück und seiner Firma ausgespannt wurde. Als Lucilectric sang sie dann „Weil ich ein Mädchen bin“, mit Erfolg wie wir wissen. The Beat Godivas begegnen uns später noch mal.
02. Out In The Rain – The What…For! (D, 1991)
Berlins, wenn nicht sogar Deutschlands, beste Neo-Sixties Band nahm diese EP in etwas veränderter Besetzung auf als noch die LP zwei Jahre zuvor. Aber am authentischen Beat der Band hatte sich kaum etwas geändert. Neben zwei eigenen Kompositionen („Out In The Rain“ ist eine davon) erschienen zwei Cover auf der EP: „Rotkarierte Petersilie“ von den Rainbows und „Say Alright“ von den Rattles im Original. Die EP hatte eine Auflage von 1000 Stück, die Hälfte davon wurde in weißes Vinyl gepresst.
03. Right Now – The Choice (D, 1992)
The Choice waren eine Göttinger Band. Mastermind und Toningenieur sowie Produzent der Gruppe war ein gewisser Tom Spötter, der in Göttingen ein Tonstudio betrieb. Die LP der Band auf Twang! kam durch Vermittlung und Sponsoring eines Stammkunden der Twang-Tone Vinylwarenhandlung zustande. Live wirkte die Kapelle eher wie eine typische Schweinerock Band. So trug der Sänger z.B. Muscle Shirt und Skinhead Frisur, Tom selbst am Bass sowie Gitarrist und Organist trugen Phantasieuniformen aus dem Kostümverleih. Einzig der Drummer wirkte wie ein richtiger Mod. The Choice spielten einige Klassiker wie „Hawaii 5-0“, „Glendora“, „I’m Not Like Everybody Else“ u.a., aber auch das damals noch kaum bekannte „She Just Satisfies“, Jimmy Pages erste Single aus dem Jahr 1965. Ein paar eigene Kompositionen wie „Right Now“ waren auch dabei. Die LP hieß „It’s Time To Make The Choice Right Now!” und war bei einer Auflage von nur 500 Stück sehr schnell vergriffen.
04. On A Sunny Day In May – The Crow (D, 1992)
Noch eine Band, die ich durch den Laden Twang-Tone kennenlernte. Sänger und Gitarrist Reverend Schulzz sowie der Leadgitarrist Andi Kerl aus Hanau standen eines Tages vor meinem Tresen und wollten nicht weichen, bis ich ihr Demotape gehört hatte. Meine Konditionen, die Band trägt alle Kosten selbst, schreckten sie nicht. Und so erschien im Frühjahr 1992 erst die LP „Combat Folk Songs“ und im Herbst dann auch die CD Version. Die Band war recht professionell. Allerdings wirkte sie auf mich immer auch ein wenig wie eine Mucker-Band. Besonders die beiden Rhythmus Leute spielten wohl auch sonst viel als Studiomusiker für jeden, der bezahlte, was ja an sich nichts Ehrenrühriges ist. Wie auch immer, die Songs von Rev. Schulzz sind überwiegend richtig gut. U.a. Alan Bangs und Stefanie Tücking spielten die Platte mehrfach in ihren Sendungen damals.
05. Auch wenn es manchmal nicht so scheint – Die Tanzenden Herzen (D, 1992)
„Ultra!“ war das zweite Album der Tanzenden Herzen aus Berlin. Ein Trio unter der Leitung von Klaus Mertens, der auch alle Texte schrieb. Musikalisch stark von Paul Weller, lyrisch eher von Bernd Begemann inspiriert. Auch wenn der CD (ja, nur CD) leider kein großer Erfolg beschieden war, sie gehört immer noch zu den besten deutschsprachigen Platten der letzten 25 Jahre. Die Band gibt es schon lange nicht mehr, aber es gibt immer noch Dunkelrot, so weit ich weiß. Von der CD sind noch ein paar wenige Exemplare übrig.
06. Down On My Knees – The Hawks (D, 1992)
The Hawks waren die große Konkurrenz der What…For! in Berlin in den frühen 1990er Jahren. Auch sie waren stark Sixties orientiert. Allerdings war das große Vorbild ihres Sängers Jan der junge Jim Morrison. Und auch sonst waren The Hawks weniger am Beat und R&B der Pretty Things und Downliner’s Sect geschult wie The What…For! sondern eher an eben The Doors oder auch den ganz frühen Deep Purple oder Spooky Tooth. The Hawks tourten auch durch Frankreich und Spanien damals, wo ihnen die Fans regelrecht zu Füßen lagen, denn die Band hatte eine wirklich überzeugende Bühnenpräsenz und bestand aus erstklassigen Musikern. LP und CD sind restlos ausverkauft.
07. Shake It Up – Loose Trigger (D, 1992)
„Against The Wind And Tide“ hieß das Album der Berliner Band Loose Trigger, das auch nur als CD erschien zeitgleich mit den Alben der Hawks und der Tanzenden Herzen. Und ebenso wie jene von der Band ganz allein finanziert. Das war meine Bedingung nach der Pleite mit The High Jinks. Leider segelten Loose Trigger mit ihrer Scheibe auch gegen Wind und Zeit. Ihr live immer mit viel Aplomb und Druck vorgetragener (Hard) Rock kam im Studio irgendwie nicht recht zur Geltung. Und die oft recht klischeehaften Lyrics halfen da auch nicht weiter. Die Band löste sich desillusioniert relativ bald auf.
08. Downtown Park – The Candy Dates (D, 1992)
The Candy Dates kamen geschlossen aus Göttingen nach Berlin zum Studieren so Ende der 1980er Jahre. In Göttingen hatten sie noch unter dem Namen Artpop eine 7“ EP veröffentlicht. Musikalisch standen sie ganz in der C86 und Twee Pop Tradition britischer Indie Bands, obwohl sie auch Peter Perrett und The Only Ones oder die kalifornischen Three O’Clock als Referenzen angaben in Interviews. Das Album „Yep!“ erschien als LP und CD. Von letzterer gibt es noch welche. Zwei der Jungs waren später Mitbegründer der Band Viktoriapark, die es im Prinzip immer noch gibt. Der Drummer spielt heute u.a. bei The Groovy Cellar und ist im Übrigen gemeinsam mit anderen ehemaligen Twang! Recording Artists Musikanwalt hier in Berlin.
09. Sandra – The Kliek (NL 1992)
The Kliek waren eine der führenden Neo-Sixties Bands in Holland in den frühen 1990er Jahren. Sie veröffentlichten eine hervorragende an The Kinks erinnernde LP auf ihrem Label Grabo Records. In Berlin spielten sie oft damals. Und durch Vermittlung des Twang-Tone Mitarbeiters Axel K. kam es zu einer 7“ 45 als Co-Release von Grabo und Twang!
10. My Girlfriend Is A Terrorist – Pierre Le Fou (D, 1993)
Pierre Le Fou ist natürlich ein Künstlername. Dahinter verbirgt sich der heutige Bassist von The Groovy Cellar, der früher mal bei The Angry Flowers (Exile recording artists) spielte und wie The Candy Dates aus Göttingen nach Berlin kam. Musikalisch wurzelt der frankophile Englisch Lehrer aus Berlin Schöneberg ebenso im Twee Pop und Shoegazertum. Er wollte damals unbedingt eine CD Single im Pappschuber. Nun ja, des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Verkauft wurden trotzdem alle 500 Stück.
11. Sideburns – The Beat Godivas (D 1993)
Auch die zweite Beat Godivas Veröffentlichung auf Twang! war eine CD EP im Digipak. Drei eigene Songs, die sehr schön die musikalische Spannbreite der Band zwischen melodieverliebtem Lärm und countryfizierter Lässigkeit wiedergeben. Dazu ein tolles Cover von Grant Harts „2541“. The Beat Godivas veröffentlichten noch ein wirklich gutes Album auf dem Hamburger Label Strange Ways. Dann verlies der eine Gitarrist die Band Richtung Kalifornien, wo er heute als Wissenschaftler arbeitet. Die anderen gründeten Familien und/oder nahmen ihren Beruf wieder etwas ernster. Hobby Musiker sind sie aber alle noch mehr oder weniger.
12. Out Of Town – John F. Kennedy (AUS, 1993)
Ja, der Mann heißt wirklich so. Geboren in England, aufgewachsen in Brisbane und Sydney (Australien), wo er auch seine musikalische Karriere begann und in verschiedenen Konstellationen diverse Singles veröffentlichte. Ende der 1980er Jahre kam John anlässlich der Berlin Independence Days nach Berlin und blieb fünf Jahre. Die Aufnahmen zum Album „Fiction Facing Facts“, aus dem dieser Track hier stammt, entstanden noch in Australien. Urban and Western nennt John seinen Stil. Das Album erschien nur als CD.
13. Blue Bicycle – The Petals (USA, 1993)
Das war die erste Single des Twang! Singles Club oder der „Seven Inch Forty-Five Appreciation Society“, wie es offiziell hieß. Man konnte Mitglied werden, indem man mindestens vier Singles im voraus bezahlte und so quasi ein Abonnement abschloss. Als Gegenleistung bekam man jede Single noch vor offizieller VÖ und mit einer extra Beilage, die bei den frei verkäuflichen Exemplaren fehlte. Rund 140 Club Mitglieder konnten auf diese Art gewonnen werden. The Petals waren eine echte Hippie Combo aus Wisconsin (USA), auf die ich auch wieder durch den Twang-Tone Laden und Mail Order aufmerksam geworden war. Das Cover zur Single hatte ich dieses Mal ganz allein entworfen und gestaltet. Alle 1000 Stück wurden verkauft. Von The Petals gibt es weitere Platten auf ihrem eigenen Label November Rain.
14. Dead End Street – The Heartbeats (D, 1993)
Als Schülerband Mitte der 1980er Jahre gestartet waren The Heartbeats aus München. Ich kannte die Band von diversen Demotapes sowie Gigs in München oder Berlin. Zu einer engeren Zusammenarbeit kam es dann aber erst im Rahmen des Singles Clubs. In den 80er Jahren galt die Band in der lokalen Szene als die Münchener Beatles. Die frühen Beatles sollte man vielleicht dazu sagen. „Dead End Street“ (nein, kein Kinks Cover) klingt dennoch eher nach Animals oder Stones. Auf der Flipside gab es übrigens ein Dylan Cover „Seven Days“.
15. She Brings The Rain – The Grip Weeds (USA, 1993)
Ein Demotape der Grip Weeds aus New Jersey bekam ich seinerzeit von Ritchie (Screaming Apple Records), dem die Musik zwar gefiel, der sie aber aus Image Gründen nicht veröffentlichen wollte. Ich war sofort total begeistert und nahm Kontakt auf zur Band. Es entwickelte sich eine langjährige Zusammenarbeit und fast schon Freundschaft, die bis heute besteht. Die Single „She Brings The Rain“ wurde noch von der ersten Besetzung der Band eingespielt, die aus den Brüdern Kurt und Rick Reill sowie Tim Mesko und Mick Hargrave bestand. Der Bandname geht zurück auf Richard Lesters Film „How I Won The War“ und den Private Grip Weed, gespielt von John Lennon. „She Brings The Rain“ gehört nicht nur zu den besten Platten auf Twang!, es ist auch eine der Singles des Jahres und des Jahrzehnts nach meiner Ansicht. Erstaunlicherweise gibt es noch Exemplare.
16. By The Light Of Day – John Kennedy & The Honeymooners (D, 1993)
Ende 1993 verließ John Kennedy Berlin wieder, um mit seiner Frau, die er hier kennen gelernt hatte, nach Hong-Kong zu ziehen und dort als Architekt (sein erlernter Beruf) zu arbeiten. Dies hier war quasi sein Abschiedsgeschenk an seine Berliner Fans. Heute lebt John mit seiner Familie wieder in Australien. Von der 7“, deren Cover übrigens ein echtes Bandfoto (kein Druck) ziert, gibt es noch wenige Exemplare.
17. Part Three – The Lemonbabies (D, 1993)
1993 hatten die Lemonbabies einen Vertrag bei Sony unterschrieben. Ich blieb weiterhin ihr Manager und so eine Art Band-Papa. In den Verhandlungen mit Sony wurde u.a. festgelegt, dass Vinyl, sofern Sony selbst keines veröffentlicht, auf Twang! erscheinen darf bis zu einer bestimmten Auflage. Die erste Single der Mädels beim Majorlabel war eine neue a capella Version von „Maybe Someday“, das ja bereits mit Instrumentalbegleitung auf der EP „Fresh’n’Fizzy“ erschienen war. Die Vinylausgabe auf Twang! erschien in zwei verschiedenen Versionen. Einmal als normale schwarze Single mit Standard Twang! Label und einmal in gelbem Vinyl und mit einem extra Foto Label der Band. Jeweils 500 Stück, die längst vergriffen sind. Die B-Seite der Twang! Single war ein Track, der noch aus alten Studio Sessions „übrig“ war. Ein Song, der von der ersten Bassistin der Band Kaja geschrieben und gesungen wurde. „Part Three“ war ursprünglich nur ein interner Arbeitstitel, doch dabei blieb es dann.
18. Wonderin’ How – The Lemonbabies (D, 1994)
„Poeck It!“ hieß das erste (mini) Album der Lemonbabies. Der Titel ein Wort aus der Lemonbabies Sprache, das sich nicht wirklich übersetzen lässt. Aufgenommen wurde im Vielklang Studio in Berlin. Produzent war Micki Meuser, den man vielleicht noch als Bassisten der Ina Deter Band und aus anderen ndW Zusammenhängen kennt. Jedenfalls brachte er ausreichend Geduld und pädagogisches Geschick mit. Das war bei der immer noch sehr jungen giggelnden Mädchen Combo auch dringend nötig. Die Aufnahmen des Albums sind zwar nicht mehr ganz so chaotisch und auf faszinierende Weise schräg wie die ganz frühen Sachen, aber doch noch ungestüm charmant genug. Die Platte erschien als CD auf Dragnet und als 10“ Vinyl auf Twang! in einer Auflage von 1000 Stück (schwarz) und 500 Stück (gelbes Vinyl). Alle weg!
19. Don’t Understand – Popnauts (D, 1994)
Die Popnauts waren ein Trio aus Bonn, das ich auf einer Lemonbabies Tournee als Support Band der Girls kennenlernte. Selten habe ich eine deutsche Band mit derart ausgeprägter Popsensibilität bei gleichzeitig unbekümmerter Punk Attitüde und überbordender Spielfreude erlebt. Neben der Twang! Single gibt es zwei weitere 7“ 45s der Jungs auf einem Bonner Label. Etliche tolle Aufnahmen schlummern noch in der Schublade. Die Band gibt es nicht mehr, ein paar Singles schon noch.
20. Small Life, Hollow Roads, And Fairy Tales – Fishermen’s Stew (USA, 1994)
Durch Vermittlung der Grip Weeds, kam ich in Kontakt mit Greg DiGesu, einem Singer/Songwriter aus New York. Seine Band damals hieß Fishermen’s Stew und spielte verschrobenen Folk-Rock-Pop mit Bezügen zu allem möglichen aus der Popgeschichte von Bob Dylan über John Lennon bis zu Charlie Manson. Greg, der seither zweimal in Deutschland und sogar in Finnland war, ist ein ausgesprochen angenehmer Zeitgenosse, den ich inzwischen auch als Freund bezeichnen möchte. Er macht noch immer Musik, seine eigenen Songs mit immer wieder wechselnden Bands. Sehr hörenswert und doch bisher ohne wirklich großen Erfolg. Von der Twang! Single gibt es noch welche.
Dies hier sind quasi die Liner Notes zur zweiten der vier Compilation CDs, die ich zur Twang! Geschichte zusammengestellt habe.
Fortsetzung folgt.
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Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!