Re: Pharoah Sanders

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gypsy-tail-wind
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UDWOh ja, eine wirklich wundervolle Stelle, bei der es mir jedesmal kalt den Rücken herunterläuft. Als ob die Welt für einen kurzen Moment verstummt.

Hab „Deaf Dumb Blind“ heute nochmal gehört – ist wohl für mich das beste Sanders-Album! Wirklich gut!

newkSehr treffende Beschreibungen Gypsy, Tauhid und Karma sehe ich ähnlich zwiespältig.
Gerade habe ich zufälligerweise einen Essay von Bill Shoemaker gelesen in dem er Folgendes schreibt:
„Der Tod John Coltranes und Albert Aylers hatte ein Vakuum hinterlassen, und nur wenige der Glanzlichter der 60er Jahre zeigten neue Wege auf. Pharoah Sanders war zu einem Rattenfänger mit einschläfernden Zwei-Akkord-Stücken geworden.“
(http://www.fmp-label.de/freemusicproduction/texte/2010d_shoemaker.html)

Ein hartes Fazit… mag sein, dass es nicht falsch ist. Aber in den späten Jahren wurde Sanders ja wie viele andere zu einem Mainstream-Post-Coltrane-Jazzer, oder wie immer man das nennen will. Meist nur mit Standard-Rhythmusgruppe wurde seine Musik viel gradliniger und zumindest an der Oberfläche weniger schreierisch-spirituell.

Nun, weiter geht’s…

Thembi (Sanders‘ Partnerin gewidmet, wenn ich das richtig verstehe) wurde in zwei Sessions eingespielt und besteht aus sechs Titeln – ein ganz anderes Konzept als auf den vorangegangenen Alben, und wie Steve Huey auf AMG schreibt finden sich trotz der übermässigen stilitischen Vielfalt und einem gewissen Mangel an Konsistenz erstaunlich viele ziemlich konzise Ideen.
Die Band auf Seite A (Ende 1970 aufgenommen) besteht aus Michael White an Geige und Perkussion, Lonnie Liston Smith, Cecil McBee, Cliffod Jarvis und auf dem dritten, dem Titel-Stück, James Jordan an ring cymbals (was hat man sich darunter vorzustellen?). Die grosse Neuerung ist, dass Smith elektrisches Piano spielt – er prägt damit das öffnende „Astral Traveling“, das auch aus seiner Feder stammt. Sanders spielt Sopransax, sehr lyrisch und völlig konventionell, der Hintergrund mag leicht „spacig“ scheinen, White spielt hohe Falsett-Töne, die streckenweise wie Vogelgezwistscher klingen, zupft dazwischen… McBee ist wie immer tief und satt und legt ein wunderbares Fundament, Jarvis groovt zurückhaltend… was jedoch irritiert, ist wie Sanders‘ Sopran zwischen den Kanälen hin- und herwechselt. Seltsame Idee, das so abzumischen! (Bill Szymczyk hat beide Sessions im Record Plant in LA aufgenommen und gemeinsam mit Ed Michel das Album produziert.)
Das zweite Stück, „Red, Black & Green“ ist mit neun Minuten der Kern der ersten Seite. Es beginnt mit zwei wild schreienden Tenören (Sanders mit Overdubs), die Rhythmusgruppe schleicht sich langsam ein, aber das Tenor-Geschrei lenkt alles Aufmerksamkeit auf sich. Nach eineinhalb Minuten erscheint im rechten Kanal ein simples Motiv, nach etwas mehr wildem Gebläse folgt die Stimme im linken Kanal auch… die Geige flicht sich ein zu einer dritten Stimme – sehr schön und wohl in Erinnerung an die Aufnahmen mit Coltrane zu sehen. McBee begleitet wunderbar, das Stück verweilt längere Zeit im Rubato (auch das eine Coltrane-Tradition) und die beiden Tenöre und die Violine umschmeicheln sich und werden dichter, wilder, dieses Mal bleibt die linke Stimme lange lyrisch, bricht dann aber mit Flatterzunge ins schon wilde Solo der rechten ein. Dann greift die rechte wieder das simple Thema auf. Eine sehr faszinierende Performance, zumal das nicht live so gespielt werden konnte!
Fast deplaziert wirkt dann der Groove, mit dem McBee „Thembi“ eröffnet. Sanders spielt es am Sopran, sein Sound wirkt verspielt, mit vielen kleinen Einfärbungen, sehr hübsch. White umspielt seine Melodie mit langen Linien. Das alles ist wieder hart an der Grenze zum Kitsch…
Die zweite Session fand anfangs 1971 statt, neben Smith und McBee waren Roy Haynes am Schlagzeug sowie die Perkussionisten Chief Bey, Majid Shabazz, Anthony Wiles und Nat Bettis dabeo (alle an afrikanischen Perkussionsinstrumenten). Zum Auftakt hören wir allerdings ein wunderbares fünfminütiges Bass-Solo von Cecil McBee mit dem Titel „Love“. Er wird selten mit den grossen Bassisten jener Jahre genannt, gehört aber zweifellos zu den allerfeinsten, auch was das Arco-Spiel betrifft, wie er im zweiten Teil seines Solos hier beweist. Nahtlos geht’s weiter mit „Morning Prayer“, von Sanders an der Altflöte präsentiert. Der Groove ist eine Art relaxte und viel smoothere Version der Grooves, die Yusef Lateef über zehn Jahre zuvor geprägt hat. Smith spielt Tyner-ähnliche Linien über dem minimalen Stück (wohl ein einziger Akkord), leider ist das ganze viel zu harmlos, als dass Trance aufkommen könnte – daran ändert auch Sanders intensives Solo nichts. Der Groove verschwindet plötzlich und über den sich auflösenden und in rascherem Tempo mit viel Gerassel neu formierenden Rhythmus röhrt Sanders wie ein wildes Tier, begleitet von Schreien von Lonnie Liston Smith… das Stück heisst „Bailaphone Dance“, nehme an damit ist das Balafon gemeint (ein afrikanischer Verwandter des Telephons? Oder wieso haben die das so geschrieben?), das Smith hier anscheinend spielt (zu hören ist davon nichts, es sei denn dengelt einfach mit den Perkussionisten mit, ohne mehr als einen Ton zu benutzen…) Sanders wechselt dann auf eine Flöte, die allerdings mehr nach einer einfachen Holzflöte klingt (fifes steht bei seinen Instrumenten, bailophone auch…) als nach einer Querflöte. Gegen Ende des Stückes ist das Balafon dann zu hören, die Musik verstummt dann fast, Flöten und ganz leise das Balafon bleiben, dann schliesst Sanders allein an der Flöte.

Mit Black Unity kehrt Sanders wieder zu den langen Stücken zurück – das Album besteht aus dem 37 Minuten dauernden gleichnamigen Stück, das für die LP in zwei Teile getrennt wurde. Die Band ist wieder etwas grösser, neben Sanders (ts, balafon) spielen mit Carlos Garnett (ts) und Hannibal Marvin Peterson (t) zwei weitere Bläser mit, Joe Bonner sitzt am Klavier, McBee und Stanley Clarke sind an den Bässen zu hören, Norman Connors und Billy Hart am Schlagzeug, sowie Lawrence Killian an den Congas, dem Balafon und mit talking drums.
Das Stück lebt von einem einfachen Ostinato, getragen von den Bässen und Bonners Tyner-artigem Piano. Die rhythmische Begleitung ist dicht, die Bläser spielen darüber zweimal über längere Zeit das repetitive, äussert einfache Thema im Unisono und brechen dann in eine kollektiv improvisierte Passage aus. Nach über sieben Minuten ist der Groove gesetzt und das erste Tenorsolo beginnt… zunächst relativ verhalten mit Wiederholungen von kleinen Figuren, dann rasch ins Falsett springend und wild grunzend… dann folgt Hannibal mit einem recht eindimensionalen Trompetensolo, in dem er sich höher und höher arbeitet – wirkt leider ziemlich kalkuliert und nur streckenweise aufregend, wenn er das Schema mit Schreien durchbricht. Plötzlich unterbrechen ihn die beiden Tenorsaxophone (unterstützt vom Harmonium – s.u.) und eine kollektive Passage folgt… dann das zweite Tenorsolo, zu Beginn komplett off-mic, danach etwas deutlicher zu hören – nehme mal an, dass das hier Sanders ist. Es folgt Bonners Solo – eine ziemlich langweilig geratene Version von Tyner. Dann folgen die Bässe (wohl McBee mit dem Lead) über diverse Instrumente… irgendwie ist die Luft aber raus, nach über 25 Minuten… der Bass-Dialog, der sich entspinnt (Clarke wohl rechts mit deutlich dumpferem, weniger singenden Ton) ist dennoch ganz schön – wenn nur das vermaledeite Harmonium nicht wäre! Am Ende plempert das ganze noch ein wenig aus… schade, irgendwie.
Die Sounds, die auf dieser Aufnahme auszumachen sind, sind äusserst vielfältig – für den CD-Reissue wurde gar nicht erst versucht, das detailliert anzugeben. Thembi Sanders‘ kurze Liner Notes zählen auf: afrikanische Trommeln und Shaker, Glocken, Gongs, Flöten, Kuhhörner, Kuhglocken, Ketten, die Mbira, die Kora, die Koto, ein indisches Harmonium (das für die nervigen Hohen Töne zuständig sein dürfte, die die Solisten streckenweise fast zudecken und ausserdem extrem hässlich-synthetisch klingen), die Sitar, kubanische Trommeln und Shaker, Steel Drums…. und natürlich die westlichen Instrumente.

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