Re: Pharoah Sanders

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gypsy-tail-wind
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Ich hole diesen Thread mal aus der Versenkung – wir hatten ja in der Folge von bichos 1969er Bestenliste schon eine kleine Diskussion… habe mal meine Pharoah CDs hervorgekramt, die da sind: „Tauhid“, „Karma“, „Jewels of Thought“, „Summun, Bukmun, Umyun“, „Thembi“ und „Black Unity“. Zudem habe ich einen Vinyl-Rip von „Live at the East“, und meine Liste konsultierend merke ich gerade, dass ich mir auch noch aus der Originals-Reihe den Reissue von „Elevation“ geholt habe (und ich glaub ich weiss sogar, wo die CD grad herumliegt!)…

Über Sanders‘ Aufnahmen mit John Coltrane habe ich schon im ChronoTrane-Thread ausführlich berichtet, und zwar ab hier. Ich habe dort schon meine Ansicht kundgetan, dass ich Sanders‘ Impulse-Alben nicht für annähernd so toll halte wie die Alben, die Coltane mit ihm gemacht hat. Ich glaube kaum, dass ich diese Ansicht grundlegend ändern werde, aber ich mach mich mal wieder hinter meine Sanders CDs!

David Rosenthal, one of the first writers to explore Sanders‘ work, wrote in the British Jazz Journal: „High shrill tones in the upper register combine with lower growls to give the effect of a piercing scream which lifts the listener right out of his seat with its intensity and power.“
That degree of intensity and power is evident in parts of the music here, but there is also a lyricism that may surprise those listeners who tend to categorize too quickly and thereby miss the depth of lyricism in the new jazz.
[…]
Returning to that kind of emotion which can be called lyrical, a primary reason for its presence in Pharoah Sanders‘ work is his concern with music as a way to express – and simultaneously to create – what he terms spiritual experience. (For Sanders, I think this definition of „spiritual“ is most relevant: „concerned with the needs and faculties of the soul, not materialistic.“)
In talking specifically about this album, Sanders emphasized that the kind of experience he is trying to achieve in this set pervades both sides, and therefore „you have to listen to both sides to get the whole picture.“ At base, Sanders adds, „my music has to do with my beliefs and with the way I live every day.“ One thing in which he believes is the perfectibility of man, and so Sanders is working toward a way of life in which he can transcend materialistic preoccupations. „I feel I’m closest to Hell,“ he says, „when I’m thinking about money.“ His goal is to discover more and more about who he is and what his capacities are within the context of a spiritual life. „The more I can find out about myself,“ he continues, „the more I know about what is, what the roots of existence are, because God is man and man is God.“
Sanders‘ religion is not in the least sectarian. „I believe in all religions,“ he declares, „so long as they’re talking about one Creator.“

~ Nat Hentoff (1967), aus den Liner Notes zu „Pharoah Sanders – Tauhid“, Impulse AS-9138

Damit erfasst Hentoff wohl die wesentlichsten Elemente von Sanders‘ früher Musik – die lyrische Seite kam in den Aufnahmen mit Coltrane eher selten zum Vorschein, allerdings bläst er auf „Naima“ (vom 1966 eingespielten „Live at the Village Vanguard Again“) ein grossartiges Solo.

Die Musik auf „Tauhid“ ist nach den Aufnahmen mit Coltrane eher enttäuschend, erreicht nie diese brennende Intensität, weder als Ganzes noch was Sanders‘ Spiel betrifft. Die Ethno-Sounds sind schon hier zu hören, Nathaniel Bettis, der in den nächsten Jahren immer wieder mit Sanders aufnehmen sollte, ist als Perkussionist anwesend, und Sanders setzt auch seine Stimme ein.
Das spannendste finde ich die Texturen, die Sonny Sharrock mit seiner Gitarre schafft, und wie die sich mit Dave Burrells Piano und Henry Grimes starkem Bass mischen. Sanders steuert aber selber auch ein paar sehr tolle Soli bei – allerdings will mich das ganze auch beim dritten heutigen Durchgang nicht so richtig überzeugen.

Eine Sternstunde von Leon Thomas (wie redbeans hier fand) mag das in der Tat sein… sein Gesang überzeugt sehr. Insgesamt wirkt das Album (von 1969) stärker aus einem Guss (was bei einem 33 minütigen Stück und einem kurzen Post Scriptum auch wenig wundert), Sanders hat ein paar sehr starke Moment und auch das ganze Getrommel, Gesinge und Gesumme passt hier besser. Dennoch (auch hier gewährte ich drei Durchgänge) schweife ich im Verlauf des Albums immer wieder ab, es fesselt mich nicht wirklich, mäandriert etwas zu stark… ganz böse könnte man von Ethno-Smooth-Jazz reden… die Tendenz Sanders‘ ist jedenfalls angebahnt und sollte in den nächsten Alben weiter in diese Richtung getrieben werden. Und „Karma“ bleibt wohl eins der besten Alben von Sanders. Erwähnenswert ist auch das Bassspiel von Reggie Workman (auf beiden Stücken), Richard Davis (auf dem langen Stücke) und Ron Carter (auf dem kurzen Stück).

„Jewels of Thought“ wurde Ende 1969 eingespielt, die Band ist etwas kleiner geworden (Spauldings Flöte und Watkins‘ Horn sind weg), Lonnie Liston Smith spielt noch immer Piano und Leon Thomas ist wieder mit dabei. Am Bass überzeugen dieses Cecil McBee und Richard Davis (nur auf dem zweiten Stück), derweil die grösste Änderung in den dichteren, zugleich freieren aber auch groovenderen Rhythmen liegt, die Idris Muhammad und Roy Haynes (nur auf dem ersten Stück) hier legen – unterstützt zeitweise von Sanders, Smith, Thomas und den Bassisten, die alle auch Perkussioninstrumente spielen, Sanders spielt zudem Glocken, er und Smith auch die Mbira, mit der für einmal genuin afrikanische Klänge in der Musik auftauchen.
Das erste Stück mit Leon Thomas geht trotz seiner Viertelstunde Dauer erstaunlich rasch vorüber, Thomas bietet eine Art Sing-Sang dar (ein Art Gebet an Allah wohl, der Titel lautet jedenfalls „Hum-Allah-Hum-Allah-Hum Allah“), der Groove macht Spass, Sanders steuert ein schroffes kurzes Solo bei. Hab ich schon erwähnt, dass der Groove absolut mitreissend ist? ;-)
Das zweite Stück, „Sun in Aquarius“, beginnt mit einer langen, donnernden Passage, in der Lonnie Listen Smith wilde Arpeggi ins Piano hämmert, derweil die anderen mit diversen Perkussionsinstrumenten beschäftigt sind. Die Bässe scheinen irgendwo auch noch präsent zu sein… und dann tritt Sanders auf, mit einem frenetisch kreischenden Solo, intensiv wie zu den besten Zeiten mit Coltrane, aber irgendwie dünn aufgenommen im ganzen Klangmus (Recording Engineer in den Plaza Sound Studios in NYC war ein gewisser George Sawtelle – ihm war das ganze offensichtlich etwas zu viel). Nach zehn Minuten öffnet sich die Musik plötzlich, Smith spielt harfen-ähnliche Auf-und-ab-Läufe, klimpert fröhlich vor sich hin, rhyhtmisch bleibt das ganze frei (und etwas unverbindlich). Nach nochmal zwei Minuten folgt dann der Groove, immer noch gestört durch die Rasseln und Ratschen, bevor Muhammad sich dann am Drumkit langsam durchsetzt… jetzt scheint die Sonne, Sanders bläst sein simplifiziertes Trane-Melodiechen, Thomas beginnt mitzusingen und weiss ähnlich zu gefallen wie in „Karma“… aber es wird auch alles wieder etwas belanglos (und Roy Haynes‘ Getrommel fehlt!). Die Bass-Passage rettet allerdings so manches wieder – und nach 21 Minuten folgt dann Sanders mit einem grossartigen Solo. Am Ende plempert’s dann aber wieder melodieseelig aus… ein Album mit schönen Momenten, das mich als Weiterentwicklung des Konzeptes von „Karma“ allerdings tententiell eher etwas weniger überzeugt als dieses.
Liner Notes sucht man übrigens vergeblich, schon bei „Karma“ wurden lediglich die Texte der Stücke abgedruckt, bei „Jewels“ gibt’s gar nichts mehr – wohl gemäss dem (Coltrane’schen?) Diktum „the music speaks for itself“.

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