Re: Joe’s Elektro-Update

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Carl Craig & Moritz von Oswald – Recomposed, Music by Ravel & Mussorgsky [Universal / Deutsche Grammophon]

Wer die Oktober-Ausgabe des Rolling Stone aufmerksam gelesen hat, wird sicherlich den Verriss von Jürgen Ziemer über dieses Album bemerkt haben (S. 118). Zweieinhalb Sterne lautet das Fazit, von „peinlich“ ist die Rede, von einer „unerträglich zischelnden Hi-Hat“ wird berichtet. Werte Leser, ich muss diese grobe Fehleinschätzung korrigieren und hebe daher dieses mehr als nur gelungenes Album in meinen Elektrotipp.

Doch von vorn: „Recomposed“, das ist eine Reihe des Klassiklabels Deutsche Grammophon, in der Elektrokünstler in den Archiven des Labels stöbern dürfen, um dieses Material dann für sich zu interpretieren. Matthias Arfmann und Jimi Tenor bestritten die ersten beiden Teile – mit mäßigem Erfolg. Nun also Carl Craig & Moritz von Oswald, beides absolute Ausnahmekünstler und Innovatoren im Techno.
Klassische Musik und elektronische Musik, also E- und U-Musik, sind schon in den 50ern eine Verbindung eingegangen, aus der man eine Linie zum heutigen Minimal-Techno ziehen könnte. Von „Klassik meets Techno“, wie Ziemer notiert, kann hier also nicht unbedingt die Rede sein, es sei denn es ist ein Wiedersehen alter Bekannter gemeint. Dabei präsentiert sich Techno dann auch ganz selbstbewusst, als wenn er sagen will: „Schau her was aus mir geworden ist“. Dieses Selbstbewusstsein tut gut, schwächelt Techno doch aufgrund des abebbenden Minimal-Hypes momentan ein wenig. Recomposed, das haben Craig & von Oswald zudem wörtlich genommen. Ravels und Mussorgskys Vorlagen („Bolero“ und „Rapsodie Espagnole“ bzw. „Pictures At An Exhibition“, aufgenommen Mitte der Achtziger von den Berliner Philharmonikern unter der Leitung Herbert von Karajans) werden fein säuberlich seziert, um dann vereinzelte Parts wieder per Looptechnik neu zusammen gesetzt zu werden. Craig und von Oswald erweisen sich dabei als sich gut ergänzende Partner. Während Carl Craig ein regelrechter Spürhund für die wahre Essenz eines Tracks ist, und somit Stimmungen portieren kann wie kein Zweiter, ist von Oswald der Mann für den perfekten Rhythmus. So gelingt es beiden gemeinsam sowohl rhythmisch als auch stimmungsmäßig Klassik und Techno miteinander zu verbinden, wie man es wahrscheinlich in dieser Form bisher nicht gehört hat. Für mich ist „Recomposed“ damit eines der spannensten Alben des diesjährigen Jahres, denn endlich scheint wieder ein klein wenig Licht am sich bereits verdunkelnden Technohimmel. Reinhören kann man in das Werk übrigens hier.

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