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Eigentlich wollte ich mal eben obige Fragen beantworten. Etliche gestern und heute empfangene PNs lassen es indes angeraten erscheinen, zunächst ein paar grundsätzliche Gedanken loszuwerden…
Nein, meine Weigerung, RS-Beiträge zu kommentieren, hat nichts mit „wachsender Distanz“ oder gar „fundamentaler Kritik“ am Kurs des Heftes zu tun, wie alarmistisch gemutmaßt wurde. Wobei mir die eine Hälfte der PN-Schreiber unterstellt, ich müsse doch Probleme mit den vielen Specials über alte Heroen haben, weil das nicht genug Platz ließe für Singles und meine akuten Favoriten, während die andere stillschweigend davon auszugehen scheint, mir gingen Covergeschichten über neue Bands gegen den Strich. Beides ist natürlich heller Blödsinn. Die Mischung von neuen und alten Namen, von aktueller und historischer Musikbetrachtung geht völlig in Ordnung. Dahinter steckt ja nicht weniger als die Erkenntnis, daß Pop ein Prozeß ist, ständiger Veränderung unterworfen. Und verständlich somit nur, wenn die Etappen dieser Evolution bekannt sind. Das bedeutet, daß die Beschränkung nur auf „alte“ oder nur auf „neue“ Musik gleichermaßen dämlich wäre. Allein entscheidend sollte die Qualität der untersuchten Musik sein. Und selbstverständlich die Qualität der Betrachtung, sprachlich wie inhaltlich.
Mein persönlicher Umgang mit Musik war stets bestimmt vom Primat des Aktuellen, des Neuen, des sich gerade Entwickelnden. Es gab nicht eine einzige Woche in den letzten 45 Jahren (oder so), die ohne diese prioritäre Beschäftigung mit neuen Singles, neuen Bands, neuen Labels, etc. vergangen wäre. Der LP-Kundschaft immer um Monate und Jahre voraus. Im Bewußtsein dessen, daß die Lebendigkeit des Pop nicht post festum, nicht im Rückblick, sondern im gleichzeitigen Erleben ihren Reiz ausspielt. In Echtzeit. Das ist allemal ungleich aufregender als jede Ausgrabung. Zuerst also das momentan Brennende, weil Flüchtige. Die musikhistorischen Bemühungen wurden jeweils so lange unterbrochen wie die Aufnahme der neuesten Musik dauerte. Das Studium des Delta Blues, Bebop, Doowop, Bluebeat, Western Swing, Garage Punk? Ungeheuer wichtig natürlich, aber nicht an eine bestimmte Zeit gebunden. Duke Ellington läuft nicht weg, Dock Boggs ist morgen noch da, Del Shannon auch.
Daran hat sich bis heute nichts wesentlich geändert. Zwar ist die Dynamik der musikalischen Entwicklung nicht mehr mit jener vor, sagen wir, 30 Jahren zu vergleichen, zwar ist das Tempo raus, alles ist statischer. Jedoch gibt es immer noch tolle junge Bands, die ihre Energie, ihre Attitüde, ihre Musikalität zu drei Minuten Popmagie bündeln. Wieder und wieder. Und sich dann auflösen. Oder irgendwann ein Album finanziert bekommen. Das in Ausnahmefällen an ihre frühen Explosionen auf 45 heranreicht. Und dann vielleicht medial gewürdigt wird. Oder auch nicht. Das war anders, als es noch mehrere, miteinander konkurrierende Weeklies gab (Melody Maker, NME, Disc, Record Mirror, Sounds), die sich permanent verändernde Szene für Millionen Leser abbildend. Sind bis auf den NME alle eingegangen und haben unbeweglichen Monatsmagazinen Platz gemacht (Mojo, The Word, Uncut, Rolling Stone, etc.), weil eine statische Musikszene keine bewegliche Fachpresse braucht. Worüber soll man denn wöchentlich berichten, wenn Bands nur alle zwei Jahre ein Album veröffentlichen, das dann komplettvermarktet wird, global, bis zum 5. und 6.Clip? Eben.
Das bringt uns zurück zum RS: wer sich die Mühe macht, die Ausgaben der letzten Jahre zu vergleichen, wird feststellen, daß da ein fein austariertes Gleichgewicht herrscht zwischen „alten Meistern“ und „jungem Gemüse“, nicht in jeder einzelnen Ausgabe vielleicht, aber über das Jahr gesehen schon. Probleme damit können eigentlich nur Leute haben, die entweder nur über Dylan/Stones/Springsteen/etc. lesen wollen oder solche, die nur an aktuellen Trends und Fads Interesse haben. Diese beiden Fraktionen gibt es (man lese nur mal einen beliebigen Thread im Forum „Das neue Heft – Lob und Tadel“), beide tun mir aufrichtig leid. Ernstnehmen kann man sie nicht.
Kurzum, auch wenn es betreffs individueller Vorlieben natürlich Unterschiede in der Gewichtung neuer wie toter Künstler gibt (ich hätte viel lieber Sugababes, Saul Williams und Palm Springs im Heft als Adam Green, Rufus Wainwright und Arcade Fire), ergibt die gegenwärtige Heftpolitik eine Menge Sinn. Und ist sowieso ohne echte Alternative.
Ein (hoffentlich) letztes Mal mithin: nicht Dissenz ist die Ursache für meine Zurückhaltung in Bezug auf Heftinhalte. Gäbe es den, würde das intern diskutiert/geregelt. Und jetzt bitte keine PNs mehr hierzu. Danke.
Zum Beantworten von Fragen komme ich heute nicht mehr, sorry.
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