Re: Hang the DJ Pt.2

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nail75

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Wolfgang DoebelingZweitens, weil die überwiegende Mehrheit der User hier ganz bestimmt nichts lernen möchte. Im Gegenteil: neun von zehn (grob geschätzt) pflegen ihren Umgang mit Musik völlig voraussetzungslos. Und versichern sich permanent gegenseitig, das sei auch gut so. Weil Musik ja schließlich „Geschmackssache“ sei, weil jeder „selbst am besten“ eine persönliche Auswahl treffen könne und man sich da keineswegs „von Kritikern etwas vormachen lassen“ solle. Kunstbetrachtung bei Neandertalers: erlaubt ist was gefällt. Egal, nicht mein Problem.

Das sind einige sehr interessante Bemerkungen, denen – wenn ich sie richtig verstehe – die Frage zugrundeliegt, ob es objektive Kriterien für die Beurteilung von Musik, genauer gesagt von Popmusik (im weitesten Sinne) gibt. Es wäre vielleicht noch möglich, sich auf gewisse Kriterien zu einigen, wohl aber kaum auf deren Anwendung auf spezifische Alben oder Singles. Ist letztlich aber nicht doch die emotionale Beziehung des Hörers zur Musik entscheidend für deren Beurteilung? Damit wären wir wieder beim „Geschmack“ oder „Gefallen“.
Nun gibt es professionelle Musikkritiker, die sich von „normalen“ Hörern folgendermaßen unterscheiden: Sie kennen in der Regel mehr Musik und die komplexen Bezüge innerhalb der Musik und Musikbranche, sie verfügen über in vielen Jahren entwickelte Hörfertigkeiten und Expertenwissen und sie können gut oder interessant darüber schreiben. Worin unterscheiden Sie sich aber im grundlegenden Hörerlebnis von der 14-jährigen, die in Ihrem Zimmer tagelang Tokio Hotel hört? Geht es beiden nicht um ein – wie auch immer geartetes – emotionales Erlebnis?
Sind beide Wege nicht gleich legitim? Die des Sammlers, des Chronisten, des Experten und die des beiläufigen Musikkonsumenten, der eben nebenbei bei der Arbeit und beim Autofahren Popmusik hört? Verfügt der Kritiker wirklich über gänzlich andere Beurteilungsmasstäbe, besonders in der Popmusik?
Oder liegt sein Vorteil und seine Kompetenz nicht in den oben beschriebenen Unterschieden? Kann es überhaupt eine andere Aufgabe des Kritikers geben als Gleichgesinnten Anregungen zu geben, Zusammenhänge zu erläutern und Einordnungen zu treffen?
Reflexartige Ablehnung von Kritikermeinungen durch Abgrenzung („nichts von Kritikern vormachen lassen“) sind zweifelsohne unsinnig. Man kann sicher aus Beurteilungen durch Kritiker sehr viel lernen und viele Anregungen erhalten. Muss nicht aber doch jeder Musikliebhaber herausfinden, war er gerne hört und was er genießen will? Wäre es nicht geradezu absurd, wenn er nur das hörte, was Kritiker ihm vorsetzen, obwohl es ihm gar nicht zusagt?
Wenn nicht „erlaubt“ ist, was gefällt, wer legt dann fest, was erlaubt ist? Gibt es wirklich objektive Kriterien der Beurteilung von Popmusik oder beurteilt sie selbst der erfahrenste und kompetenste Kritiker nicht auch vornehmlich nach „Gefallen“ und „Nichtgefallen“, mithin nach emotionalen Kriterien?

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.