Re: 25 feine Damenstimmen

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vorgarten

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Friedrich
Warum kennt außerhalb Skandinaviens kaum jemand Karin Krog?

als ich karin krog entdeckt habe, konnte ich es auch kaum glauben, dass ich vorher nie etwas über sie gehört hatte.
mein türöffner war der doppel-cd-sampler JUBILEE, den sie selbst zusammengestellt hat (kann ich wärmstens empfehlen). bei behrendt taucht sie nur unter den sängerinnen auf, die den jazzgesang auch in den freejazz überführt haben – was in ihrem fall aber auf ein paar experimentelle sachen (vor allem mit john surman, z.b. FREESTYLE) beschränkt blieb.
karin begann als hardboiled swingsängerin, zusammen mit großartigen jungen talenten aus der skandinavischen szene (oersted-pedersen, garbarek, andersen, christensen) und mit emigranten aus afroamerika, ist dann ordentlich durch die welt getourt, hatte eine schöne kurze fusion-phase (ein bisschen in der nachfolge von flora purim) mit steve kuhn, und singt heute sehr schön, klassisch und etwas behäbig standards.

zwei nette biografische anekdoten: ihre erste jazz-gesanslehrerin war anne brown, die erstbesetzung der bess in PORGY & BESS – daher kommt vielleicht ihre stilisierte und recht aufreizende blues-nähe.

und dann gab es die geschichte, dass matthew herbert für das label crippled dick hot wax einen song von ihr geremixed hat (THE MEANING OF LOVE), was zur folge hatte, dass einige djs vor allem ihre 70er jahre platten wieder- bzw. neuentdeckten. und dass karin danach ein paar vocals zu elektronik-tracks beisteuerte.
da karin mittlerweile ihr eigenes label hat (MEANTIME) konnte sie all ihre alten aufnahmen wenigstens in skandinavien und UK wieder zugänglich machen, also auch die großartige WE COULD BE FLYING (1974), von der MEANING OF LOVE stammt.

ich kann so ziemlich alles von ihr empfehlen. von den ersten aufnahmen sind vor allem JOY und JAZZ MOMENTS wahre ohrenöffner, was moderne standardvariationen angeht. tolle ensembles, meist mit oersted-pedersen, jon christensen (aus dem jarrett-quartett) und kenny drew (ihr wisst schon: john coltrane, BLUE TRAIN). auch die von friedrich erwähnte zusammenarbeit mit dexter gordon muss man nennen (SOME OTHER SPRING).

in den 70ern gibt es neben der WE COULD BE FLYING noch eine wahnsinnsplatte mit archie shepp (HI-FLY), entstanden nachts bzw. frühmorgens nach einem gemeinsamen konzert. da archie und karin die ersten im studio waren, gibt es darauf eine duo-improvisation über SOLITUDE, die wirklich einzigartig ist.

von den aktuelleren kann man sehr gut die enja-aufname WHERE YOU AT empfehlen, außerdem ein schönes duo mit dem neuen skandinavischen gitarristenstar jacob young, WHERE FLAMINGOES FLY.

ihren ton hat friedrich schön beschrieben. man könnte ihn auch sexy nennen, wenn man damit auch selbstbewusstsein verbindet…
bei der gelegenheit hätte ich gerne mal meine bildungslücke gefüllt, was denn genau in diesem kontext „tongue-in-cheek“ heißt.

ein bisschen schade finde ich, dass karin so aufregend singt, aber immer so brav aussieht. das wirkt manchmal so wie „eigentlich bin ich hausfrau, aber in meiner freizeit singe ich ein bisschen jazz“. aber wenn man dagegen an die ganzen gittes und valentes und flemings in deutschland denkt, die dieses „eigentlich singe ich jazz“-ding draufhaben…

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