Re: 25 feine Damenstimmen

#5308247  | PERMALINK

vorgarten

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FriedrichHmmm, ich gebe zu, ich habe niemals wirklich auf den Text geachtet. Die Zeile „An occasional man“ klang für mich toll. Wie würde man das auf deutsch sagen? „Dann und wann mal einen Mann“?

das ist auf der einen seite eine weibliche paradies-fantasie: eine insel zu besitzen und sich – wenn einem gerade danach ist – eine papaya oder einen mann zu nehmen. auf der anderen seite entsteht aber beim hörer das bild einer nackten frau vor südseeinsel-kulisse (und das war in den 50ern wahrscheinlich die stärkere fantasie…)

Friedrich
Ist es nicht bezeichnend, dass fast alle Jazz-Sängerinnen fast ausschließlich Songs singen, die von Männern geschrieben wurden? Und dass die meisten in Form von Männerfantasien daherkommen?

sicher. wobei man es ja mit darstellender kunst zu tun hat – und die sängerin, die „ich“ singt, nicht unbedingt aus ihrem leben erzählt (sondern eine rolle verkörpert). das „lyrische ich“, wie man aus dem deutschunterricht weiß…
ich glaube, dass viele dieser broadway-musical-texte gerade damit spielen, dass man sich als sänger(In) nicht mit ihnen identifiziert – als ein allgemeines, elegantes spiel mit allgemeinplätzen über die liebe. und wenn eine ella fitzgerald einen song (und text) von cole porter singt, ist das ja auch sehr komplex – denn was wusste cole porter schon von frauen…?

witzig und entlarvend finde ich, wie gesagt, anita o’days BOY FROM IPANEMA – weil sie damit (wie es die männer immer mit frauen gemacht haben) ein objekt der begierde völlig auf seinen körper reduziert:
„When he walks, he’s like a samba / That swings so cool and sways so gentle / That when he passes, each one he passes goes – ooh“.

FriedrichAusnahmen gibt es natürlich, spontan würden mir Nina Simone (vor der hat man ja Angst) und Helen Merrill einfallen (die will mit einem diskutieren), Ella Fitzgerald (hat sowas Mütterliches), bei Billie Holiday hört man, dass sie mit ihrer Rolle nicht klar kam

mir fällt da sofort abbey lincoln ein, die, als sie coltrane und monk kennen gelernt hat, auch sofort damit anfing, texte für deren kompositionen zu schreiben (AFRICA / BLUE MONK). die teilweise jahre an einem song komponiert und ihn damit mit ihrer eigenen geschichte aufgeladen hat (DOWN HERE BELOW und THROW IT AWAY), allerdings wieder so, dass auch andere sängerinnen ihn übernommen haben. es gibt mittlerweile ein abbey-lincoln-songbook, wynton marsalis hat ende der 90er 3 tage lang abbey mit ihren songs am lincoln center auftreten lassen (unterstützt von joe lovano und steve coleman), kendra shank hat ein ganzes abbey-lincoln-album aufgenommen (A SPIRIT FREE) und cassandra wilson hat auf GLAMOURED THROW IT AWAY interpretiert.

Friedrich
Wie ist das denn heute? Cassandra Wilson, Rebekka Bakken, Norah Jones, mal ganz unabhängig von deren musikalischen Qualitäten betrachtet, die werden doch alle über ihr Aussehen verkauft. Gibt es namhafte Jazz-Sängerinnen, die ihr Image selbst bestimmen und die sogar ihre Songs selber schreiben? Wo ist sie, die emanzipierte Jazz-Sängerin?

cassandra wilson würde ich da schon ausnehmen wollen – die ist doch eher von den blonden skandinavierinnen und ihrer konträr-erotik ins abseits gedrängt worden, hat zumindest die richtung ihrer musik selbst eingeschlagen (durch M-BASE, die auseinandersetzung mit robert johnson und die zusammenarbeit mit ihrem ungewöhnlichen produzenten) – und wie gesagt: emanzipation muss nach meiner ansicht nach im gesangsbereich nicht damit zu tun haben, dass man eigene lieder textet. blues ist ja auch rollenprosa!

übrigens finde ich es schlimm, wenn du billie holiday mit „BH“ abkürzt“…

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