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Jemandem zuzustimmen, der die Platte nach eigenem Bekunden nicht gehört hat, weil er’s unerträglich findet, nur weil er in kurzen knappen Statements das sagt, was du gern hören möchtest, ist auch nicht gerade der Weisheit letzer Schluß
Ich glaub es weiter oben schon mal verlinkt, aber weil auch dort einiges zur Stimme bzw Gesag gesagt wird. sei diese Rezension nochmal zitiert
Ein bißchen ist es ja schon wie in den alten Sylvester-und-Tweety-Cartoons früher. Der eine jagt dem anderen hinterher, ist immer knapp dran, muß eigentlich nur noch zupacken und rennt dann doch wieder vor eine Laterne. Jedes Mal. Weil Tweety zu listig ist, zu flink, zu gut befreundet mit den richtigen Leuten. Weil Tweety ungreifbar ist, so wie Joanna Newsom. In der Realität ist sie 24 Jahre alt und zuhause in Kalifornien, ja ausgerechnet. In jedem Kopf aber, der gerade nicht mehr ganz gesund ist, könnte sie auch goldstaubige Minnelieder in zugesperrten Burgverliesen singen, die Titelmelodie der französischen Revolution summen oder 500 Jahre nach uns allen mit einem Raumschiff in die Garage der Tanners krachen. Es wäre nur immer das Gleiche: Man käme nicht dahinter, man kriegte sie einfach nicht zu fassen.
Sollte es hier also irgendetwas zu verstehen geben, haben wir es nicht begriffen. Ist das hier eine Kopfsache, dann ist sie zu hoch für uns. Newsom, die gerne zur Musik der Silver Apples tanzt und viel lieber noch ein Wildpferd wäre, hatte sich ja schon mit „The milk-eyed mender“ der Unwirklichkeit verdächtig gemacht. Das erste Schulkonzert einer Zehnjährigen brachte sie da mit den weisesten Songs der Dorfältesten durcheinander. Die narbenlose Unvollkommenheit ihrer schluckenden, hicksenden, schwankenden Stimme überschlug sich zur unendlichen Traurigkeit von entstellten Geschichten über Leben, Tod und die Räume dazwischen. Und obwohl seitdem zwei schnelle Jahre vergangen sind, ist doch alles nur noch weiter verschwommen. Sicher ist heute allein: Das zweite Album von Joanna Newsom heißt „Ys“, und es ist so wunderschön wie nichts sonst am Leben.
Ein letzter Reality Check: Fünf neue Lieder hat Newsom auf der Harfe geschrieben, die ihr schon in frühster Kindheit aus der Seite gewachsen ist. Als die fertig und sehr lang geworden waren, schickte sie eine Brieftaube an Steve Albini, ließ sich vom alten Knurrknochen des Indierocks die Vocals und das Instrument aufnehmen, dachte deshalb aber noch lange nicht ans Ruhen. Der frisch verrentnerte Van Dyke Parks bekam eine Flaschenpost, nicht wegen der Trickbetrügereien, mit denen er einst die Beach Boys glasiert hatte, sondern weil Newsom zufällig sein Soloalbum „Song cycle“ gehört hatte und gar nicht mehr an sich halten konnte vor Glück. Statt sich also in Florida mit wohlverdienten Mai Tais vollzuschütten, machte Parks einfach weiter, brachte für „Ys“ ein 32köpfiges Orchester auf die Reihe, arrangierte, dirigierte und spielte am Ende auch noch Akkordeon. Er könnte jetzt wirklich sterben, wenn er wollte.
Auch wenn danach noch Jim O’Rourke ins Spiel kam, die unglaublich gut klingende Platte mixte und dafür neun Tage lang nicht geschlafen haben soll, darf man aber doch nicht die Frau am Herzen dieser Lieder vergessen. Newsoms Gespür für den passenden Ton, das richtige Register funktioniert so intuitiv wie unfehlbar. Sie verkriecht sich im richtigen Moment mit ihrer Harfe hinter das Orchester, drängelt traumwandelnd zurück nach vorne, weicht aus, überrascht, bremst ab, zieht an und singt gleichzeitig noch viel ausgewogener, unkontrollierter, erwachsener, kindlicher, besser und noch besser als auf ihrem Debüt. Es sind besonders die waghalsigen, kurvenreichen, trotzköpfigen Gesangsmelodien, wegen denen sich „Ys“ immer etwas Spielerisches behält. Es ist ausgerechnet Newsoms sicherlich streitbare Stimme, die das Album trotz seiner länglichen Stücke nie schwierig werden läßt.
Jeder der fünf Songs hat dabei seine eigene Identität, jedes dieser Lieder bringt genügend Charakterzüge mit, um als eigenes Sonnensystem zu zählen. „Emily“ segelt auf fliegenden Streicherteppichen durchs Fenster, erzählt irgendwie und in leuchtenden Sternenbildern von Newsoms Schwester, verbohrt sich in einem ungeheuerlichen Refrain und bekommt nach zehn Minuten von einem Banjo den sanftesten Schubser Richtung Country verpaßt, den man niemals mehr für möglich gehalten hätte. „Monkey & bear“ spielt sich danach mit zuckersüßen, sockenschüssigen Disney-Kapriolen zum „Bambi“-Soundtrack auf und tut doch nur so putzig, weil sich hinter den Abenteuern seiner beiden ausgerissenen Zirkustiere ein bestimmender Affe, ein trostloser Tanzbär und letztlich gar ein Selbstmord verbergen. Oft sind es Tiere, die bei Newsom sprechen und handeln. Immer erzählen sie von den Menschen, der Liebe und wie sie nicht zusammenpassen.
„Sawdust & diamonds“ steht einschneidend in der Albummitte, textlich kämpferisch, appellierend, musikalisch einfach, als einziges Stück nur mit Newsoms getriebener, ewig rastloser Harfe umgesetzt. „Only skin“ streckt und spannt sich fast über 17 Minuten, Newsom spielt längst genauso sehr Theater, wie sie Lieder singt, im letzten Viertel weht plötzlich Bill Callahans (Smog) störrischer Gesang durch die Kulissen. Einmal noch geht es nach diesem Song um eine verlorene Frau, einmal noch dreht das golden glänzende Orchester Pirouetten durch triste Fantasielandschaften. Sicher heißt das Stück nicht zufällig „Cosmia“, sicher sind wir danach nicht schlauer, besser oder andere, erleuchtete Menschen. Sollten wir uns aber nochmal wie der ewig hoffnungslose Kater Sylvester von vor 800 Worten fühlen, wissen wir wenigstens: Selbst wenn Tweety nicht in die Finger zu kriegen ist – bewundern kann man ihn immer und für immer.
Dem meisten davon kann ich nur zustimmen, auch und vor allem, dass mit der Stimme alles steht und fällt und das diese zur Polarisierung geradezu einlädt.
Nicht singen können, keine memorablen Melodien haben, sperrig sein, das hingegen findet anderswo statt
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"Man kann nicht verhindern, dass man verletzt wird, aber man kann mitbestimmen von wem. Was berührt, das bleibt!