Re: Joanna Newsom – Ys

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franzkafka79

Registriert seit: 05.07.2006

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Zu diesem Text bleibt eigentlich nichts weiter zu sagen. Er ist an sich nicht schlecht durchargumentiert, in gewissen Teilen sollten man ihn sehr wohl durchdenken, auch wenn ich gänzlich anderer Meinung bin. In letzter Zeit scheint ja immer mal wieder die Restauration beschworen zu werden, wenn sich eine Band nicht explizit mit politischen Themen auseinandersetzt.
Natürlich kann man Newsom als eine Rückkehr verstehen, als eine Rückkehr aus der Postmoderne in eine schöne Moderne, zusammengehalten von einer beruhigenden Meta-Erzählung, einer neuen Ernsthaftigkeit, einer neuen Welt, die nicht mehr zitiert und ironisiert, sondern ihr Anliegen ernst meint. Newsom meint es ernst, zweifellos, Ironie ist in ihrem Gesamtwerk wohl nicht vorgesehen. Man muss also an all die Verteidiger einer pluralistischen Postmoderne wohl die Worte richten, die Pulp auf „This Is Hardcore“ so treffend einfingen, zu einer solch treffenden Zeit brachten: „Irony Is Over…“.
Was das alles jetzt bedeuten soll ist fraglich, man verliert sich im Text und Musikgeflecht der heutigen Zeit, kann sich nicht mehr aus ihm befreien. Und genau in diesem Moment fragt man sich, welche Rückkehr Newsom jetzt tatsächlich sein soll? Ist es die Rückkehr in die Renaissance, in das Wiederaufleben des Humanismus, der Mensch im Mittelpunkt, als Genie als Schöpfer, als Herrscher in seinem Reich der Töne und Zeichen? Vielleicht trifft genau das zu, kann Newsom so naiv sein das zu glauben, nachdem uns der Marxismus und der Poststrukturalismus eines besseren belehrt hat? Oder ist sie durch die Dekonstruktion geschwommen, ist aus diesen Untiefen der kulturellen Signifikanz aufgetaucht, aus diesem Geflecht, das Wahrheit ablehnt, das Genie außer Kraft setzt, und dem Subjekt keine wirkliche Handlungsmacht zuspricht? Hat sie die Strukturen vereinnahmt, hat sie es geschafft, sich auf die Spitze zu stellen in dem sie die Produktionsverhältnisse einfache ignorierte, und Musik wieder ihre scheinbare Autonomie zurückgab? War das schon alles was man über Newsom sagen konnte, die Rückkehr zur Autonomie? Doch was bleibt davon übrig, wenn diese Musik ausnehmend berührt, doch warum berührt sie? Ist sie ein Trost in einer unüberschaubaren Welt, in der neuen Unübersichtlichkeit, wie sie Habermas zu Recht beschworen hat?
Also jetzt wieder der Mensch im Mittelpunkt, als Herr seiner selbst, bei Newsom vorbildlich verkörpert. Er erschafft sich wieder selbst, seine Intention kennt keine Abstriche, er ist nicht länger determiniert von seinem Umfeld, sondern zwingt diesem seine kompromisslosen Visionen auf und wird auch ebenso rezipiert…Ein Rückfall also wieder mal, alle Theorie umsonst, wenn das unmittelbar menschliche ins Bild gerät? Wann wird also Gott wieder erschaffen, wann schauen wir wieder auf die Idee dahinter, die Urmusik, die es gilt anzustreben, und die erreibar wird, die erkennbar wird, für den genialen Künstler? Der Künstler also kein Bearbeiter mehr seiner Sprache und seiner Töne, sondern ein Schaffer einer Geheimsprache, einer Kunst, die keine Abstriche kennt?
Doch wohin soll uns das führen? Die Lust an der Musik drängt sich auf, läßt alles nichtig werden.
Das alles führt zu einem interessanten, vorläufigen Ziel, das dieser Umweg erreicht hat: was man theoretisch ablehnen müßte, fängt einen in einer Schönheit, die kaum Vergleiche kennt.

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Even I, as sick as I am, I would never be you... (Morrissey)