Re: Joanna Newsom – Ys

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aimee
Moderator

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Ich gebe zu, mein Bild von Joanna Newsom war bisher ziemlich oberflächlich – niedliche Eso-Elfe mit kindlichem Getue und hässlichen Plattencovern, dazu Assoziationen zu Musikern mit denen ich nichts anfangen kann und immer wieder die Bemerkungen über ihre piepsige, quietschige „Kinderstimme“ – eigentlich alles gute Gründe, um einen großen Bogen um sie zu machen.

Aber dieser Thread liest sich so interessant, dass ich neugierig wurde und mir gestern abend dann doch mal „Sprout And The Bean“ auf MySpace angehört habe. Mh, hübscher Song, aber diese Stimme.. puh. Ich weiß nicht. Wer mich länger kennt weiß dass mein Verhältnis zu Frauenstimmen ohnehin nicht ganz unkompliziert ist, und diese hier erscheint beim ersten Hören schon extrem eigen in ihrer kindlichen Intonation. Sehr nah an nervig um genau zu sein. Kann ich das mögen? Ich bin skeptisch. Aber gut, noch ein Versuch: die hier irgendwo verlinkte Liveaufnahme auf YouTube, „Sawdust And Diamonds“. Fängt ja eigentlich genauso an wie das andere.. okay, die Stimme tut weniger weh als erwartet, und Harfe ist sowieso ein sehr schönes Instrument – aber was daran so ungemein faszinierend sein soll, dass so viele hier ihr vollkommen erlegen sind, erschließt sich mir erst in der dritten Minute. Plötzlich und unerwartet bricht da aus diesem seltsam rezitativen, fast schon abstrakten Vortrag eine kleine Melodie (die sich als eine Art Refrain herausstellen sollte), die im Duett mit den fließenden Harfentönen so absolut und unglaublich und unwiderstehlich schön ist, dass sie tatsächlich unirdisch auf mich wirkt. Und auf einmal ergibt alles vorher und nachher einen Sinn, passt zusammen, ist keine Sekunde zu lang, sondern im Gegenteil mit 9:11 Minuten immer noch kurz genug dass ich traurig bin als es vorüber ist. Unfassbar. Das letzte Mal dass mich eine Frauenstimme entgegen all meiner Vorbehalte so buchstäblich entwaffnet und verzaubert hat, das war Victoria Williams in einer Kirche in Schwäbisch Hall. „Entwaffnet“ passt hier wirklich, denn dort wie hier gäbe es so vieles, was der abgeklärte, „ironische“ Teil von mir lächerlich finden könnte, und irgendwie würde er das sogar gerne, aber.. es geht einfach nicht. Es ist zu gut.

Ich weiß noch nicht ob ich auf Albumlänge mit der Stimme klarkomme, aber ich werde es wohl herausfinden müssen. Denn seit gestern abend lässt mich die fremdartige Schönheit von „Sawdust And Diamonds“ nicht mehr los.

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