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RUFUS WAINWRIGHT – Want
Dream Works/Geffen Records (2003/2004)
In diesen Tagen würde ich lieber einen Abgesang auf das vergeudete Talent des Rufus Wainwright schreiben, als über die Phase, in der Kanadier wirklich ein Hoffnungsträger für die Popmusik war. Doch irgendwann Anfang des Jahrtausends war Wainwright wirklich einmal gut, wusste er zu berühren und eine Lücke auszufüllen in einer Branche, in der nichts mehr Neues nachkam und der heißeste Scheiß nur ein Aufguss alter Zeiten und besserer Bands war. Rufus Wainwright lernte ich exakt in der Phase zwischen Want One und Want Two kennen und für einen Bruchteil meiner musikalischen Sozialisation hatte ich das Gefühl, dass etwas Besonderes passiert. Der Schein sollte trügen, glänzte aber deswegen nicht weniger hell.
Während er heutzutage mit seiner Selbstverliebtheit langweilt, versprühte er eine Zeit lang einen messianischen Charme in einer Mischung aus gesunder Arroganz, Schüchternheit und Melancholie, die ihn bis an den Abgrund führte und aus der er sich damals mit dem Großprojekt „Want“ herauskomponierte.
Nach der Scheidung seiner zumindest in Songwriter- und Folkkreisen bekannten Eltern wuchs Rufus zusammen mit seiner Schwester Martha in Montreal bei Mama Kate McGarrigle, immer umgeben von seinen Tanten und Cousinen. Zu seinem zynischen Vater Loudon war das Verhältnis angespannter, dieser residierte wie es sich für einen Folksänger gehörte, im New Yorker Greenwich Village und sah Rufus zumeist nur, wenn dieser ihn in den Sommerferien besuchte. Dieser verewigte seinen Sohn alsbald auf einem seiner Alben mit dem eifersüchtigen Lied „Rufus Is A Tit Man“. Dies muss deswegen erwähnt werden, weil die ganze Egozentrik und Geltungssucht von Rufus Wainwrights Persönlichkeit und Musik darin begründet ist, dass er sich nicht ausreichend anerkannt und gewürdigt gefühlt hat. Drum tat es der Sohn dem Vater gleich, übte Stunden, Wochen und Tage am Klavier, hielt sich für den neugeborenen Schubert oder Mozart und strebte eine Karriere als Musiker an. Ein einschneidendes Erlebnis folgte mit 14 Jahren, als Rufus seine Sexualität entdeckte, immer öfters in Schwulenbars abhing und von einem Thekenflirt im Londoner Hyde Park sexuell missbraucht wurde. Der ungeliebte Sohn, gestraft mit einer gesellschaftlich als abnorm betrachteten Sexualität und nun noch körperlich missbraucht, benötigte einige zölibatäre Jahre um diesen Vorfall irgendwie zu verarbeiten. Als junger Erwachsener wagte er den Schritt nach New York, scheiterte grandios als Pianist in einigen Clubs und kam letztendlich dank eines Demo Tapes, welches über Papa Loudon bei Van Dyke Parks und schließlich bei Warner Bros. Produzent Lenny Waronker landete, doch noch zu einem Plattenvertrag. Wie talentiert dieser junge Mann war, zeigte sich auf dem Song „Liberty Cabbage“, der auf dem Demo enthalten war und einen verletzten Jungen noch vor dem Stimmbruch zeigte. Mit glockenheller Stimme eines vielleicht 13 oder 14 Jahre alten Teenagers klagt Rufus in beeindruckenden Metaphern über das Amerika seines Vaters, welcher zusieht, wie das Land der Freiheit und Hoffnung ihn innerlich zerstört. „Sometimes I think you’re trying to kill me with your stars and stripes” fleht der Protagonist um hoffnungsvolles Erbarmen, nur um mit zitternden, langgezogen und tiefen Versen hinterherzuschieben…„And sometimes, sometimes I think you might succeed“. Der Schmerz hierbei wurde nur noch übertroffen von Wainwrights Talent und so entstand 1998 sein gleichnamiges Debüt.
Mit den Arrangements von Van Dyke Parks, mit dessen amerikanischen Melodien, dem Verweisen auf europäische Klassik gepaart mit der kanadischen Traurigkeit fiel sowohl lyrisch als auch musikalisch völlig aus dem Rahmen der damaligen Zeit. Wainwrights Größenwahn manifestierte sich in unerhörten musikalischem Grandezza und einem überambitionierten Sänger, der vollvoluminös die ganze Welt ansingen wollte. Außergewöhnlich war, dass hier ein schwuler Songwriter nicht mit Doppeldeutigkeiten kokettierte, sondern sich als Neuzeit Oscar Wilde zu definieren versuchte, mit großspuriger Arroganz, Hingabe und operettenhaftiger Individualität. Zur Zeit seines düsteren Zweitlingswerkes „Poses“ verlor sich Wainwright derweil in New Yorks Unterwelt, tauschte sein Zölibat gegen Promiskuität ein, wohnte im Chelsea Hotel, probierte alle Arten von Drogen aus, blieb auf Chrystal Meth hängen und erblindete schlussendlich. Dank der Hilfe von Elton John unternahm er eine Therapie und schrieb sich in Dutzenden Liedern den Schmerz von Seele.
Natürlich handeln auch die zig Lieder, die aufgrund der Masse und Klasse auf zwei Tonträger veröffentlicht wurden, von den Ungerechtigkeiten des Alltags, dem Gefühl nie geliebt worden zu sein und nie geliebt zu haben, dem ständigen auf der Reise sein, dem mangelnden Heimatgefühl mit entsprechend fehlendem Sicherheitsbedürfnis, der grausamen Welt, die einen weder zu nehmen noch zu verstehen mag, der Hilflosigkeit auf der Suche nach einem Gefährten, von bösem Selbstmitleid eines egozentrischen Schönlings und von dem inneren Kampf mit sich und der Familie und der Selbsterkenntnis, dass am Ende die Liebe die man gibt, man eben nicht zwangsläufig zurückbekommt. Und das alles betraf erst Want One, dem ersten, persönlicheren Liederzyklus dieses Wahnsinnigen. Man kann sich reiben an diesem Sänger, wie er auf der Cover als Prinz verkleidet ist, wie er, der den Look hat, die Stimme, den Charme, das Talent, dem es scheinbar besser geht als uns, der sich und seinen Ausdruck permanent dekadent erhöht, nur um melodramatisch tiefer zu fallen. Wenn uns diese ärmliche Kreatur irgendwas sagen kann, dann das, dass der erste Eindruck öfters täuscht. Prinz Rufus stirbt also die Tausend Tote, jammert im Eröffnungslied über seine Heimatlosigkeit über Ravels Bolero, klagt sich durch teils elektronisch verfremdete Pianoballaden, überheizt sich vollkommen in den komplexen und erhabenen Popsongs von „Go Or Go Ahead“ und „Beautiful Child“, strapaziert seine Stimmbänder mit dem viel zu hoch gesungen „Harvester of Hearts“ (der ihn natürlich nicht beschenkt), tänzelt sich in Kontrabass-Riffs durch selbstmitleidige Flirtversuche in „Vibrate“, die in einem Kinderchorgewitter enden. Neben der völlig überdrehten und größenwahnsinnigen Orchestrierung ist es diese schmeidige Stimme, die Wainwrights Musik ausmacht, die Schmelz und Schmalz vereint, Kitsch und Poesie, Wahrheit und Lüge. Gegen Ende, wenn ihm die Luft ausgeht und die Abschlussballaden das Tempo rausnehmen, geht Want One am direktesten ins Herz. In den einfachen Melodie und Akkorden hat man endlich das Gefühl, in die Seele des verletzten Künstlers zu sehen, der sich hier vollkommen vom musikalischen Ballast entfernt und zu Selbsterkenntnis kommt, dass er gerne den Ruhm und die Kunst eintauschen würde, wenn er sich im Gegenzug endlich geliebt fühlen könnte. Am Ende dann „Dinner At Eight“, die Hymne über die Hassliebe zu seinem Vater mit dem ödipalen Ziel, seinen Vater zu töten um zu erkennen, was dieser ihm wirklich bedeutet.
Dem persönlichen Want One folgte sein weltoffener Zwilling „Want Two“ mit abwechslungsreicheren Melodien, weniger oder zumindest besser eingesetztem Orchester und weiteren Hymnen über die Unerreichbarkeiten der Liebe, diesmal in Gestalt suizidaler Popstars, alter Nutten und kleinen Mädchen, die sich unsterblich in ihren Lehrer verlieben. Als unbefleckte Madonna begrüßt uns Rufus auf dem Cover und schockiert uns mit einem prätentiösen Kackhaufen namens „Agnus Dei“, einem lateinischen Gebet, welches mit knarzender Kakophonie untermalt ist und sich in einem unwiderstehlichen Spannungsbogen zu einer Sinfonie steigert, sodass spätestens hier entschieden werden muss, ob man diesen Mann liebt oder hasst.
Wer ein Ohr hat für diese Hingabe in Stimme und Komposition, wer die Aufmerksamkeit aufbringt für die nicht immer gleich ins Ohr springenden Melodien und den ironischen Blick, über den überbordenden Kitsch und Pathos hinwegzusehen, um ihn am Ende vielleicht schätzen zu können, wird erfasst werden von dem Zauber dieses Songreigens. Alles was uns Wainwright sagen konnte, steckt in diesen Songs, die ganze Traurigkeit und Hoffnung darin verlieh zumindest mir kurzfristig das Gefühl, Leben retten zu können. Während Wainwright selbst sein Glück gefunden und Leonard Cohen zum Opa gemacht hat, habe ich mich von seiner Musik emanzipiert und bedauere nur, dass alles was danach kam, vollends unironisch in Larmoyanz triefte und vor lauter Redundanz langweilte. Für einen Sommer aber, war er gut, so richtig gut.
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and now we rise and we are everywhere