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JOHN COLTRANE – Olé Coltrane (Atlantic 1960)
John Coltrane – ts, ss (#1)
George Lane – fl (#1), as
McCoy Tyner – p
Freddie Hubbard – tp
Reggie Workman – b
Art Davis – b (#1,#2)
Elvin Jones – dr
A1 Olé
B1 Dahomey Dance
B2 Aisha
Jazz zu verstehen fällt mir schwer, über Jazz zu schreiben scheint ein noch schwierigeres Unterfangen, gerade für einen Weißen, der über ein LP schreiben möchte, die vor 50 Jahren für ein komplett anderes Publikum aufgenommen wurde. Jazz war ursprünglich Musik von Schwarzen für Schwarze und im Vergleich zu Popmusik stelle ich mir vor, dass es für die Rezeption der Musik noch wichtiger ist, sich in die Situation des Amerika der 50er und 60er Jahre hineinzuversetzen, um diese Musik zu spüren, zu verstehen, nachzuvollziehen und letztendlich zu lieben.
John Coltrane war ein getriebener und, wie oft beschrieben wird, ein suchender und rastloser Mann. In kürzester Zeit lotete er den Hard Bop und den modalen Jazz bis an seine Grenzen aus, entwickelte seine Sheets of Sounds und driftete ab und auf in Spiritualität und verhalf dem New Thing! zur Popularität. Olé Coltrane war die LP, die entscheidend dazu beitrug, dass meine Faszination von Coltranes Spiel in Begeisterung umschlug. Zeitlich war Olé Coltrane die letzte LP die Coltrane für Atlantic einspielte bevor er zum neu gegründeten Impulse! Label wechselte. Spätestens seit Giant Steps und seiner Mitwirkung an Kind Of Blue war Trane in die Reihen der absoluten Superstars aufgestiegen. Er nahm Richard Rodgers legendäres „My Favorite Things“ auf, welches nicht zuletzt wegen Tranes Reaktivierung des seltenen Sopransaxophons zum Erfolg und Hit wurde. Wie beschrieben war Coltrane nie jemand, der sich auf seinem Erfolg ausruhte und so suchte er immer weiter nach neuen Impulsen. Zwei Tage nach der ersten Session für sein erstes Impulse! Album Africa/Brass, auf welchem er mit einer Big Band experimentierte, traf sich Coltrane mit einem Teil der Big Band, um Olé Coltrane einzuspielen. Möglicherweise angespornt durch Davis Erfolg mit dem von Gil Evans orchestral arrangierten Sketches Of Spain, versuchte Trane auf seine eigene Art spanische Motive in sein Spiel zu integrieren. Dies gelang zwar nicht und wurde doch und vielleicht gerade deswegen so gut:
Olé beginnt mit dem Zupfen tiefer Basstöne und McCoy Tyners monotonen, zwischen Dur und Moll wechselndem Klavierspiel. Trane bediente sich wie auf „My Favorite Things“ dem Sopransaxophons und wurde unterstützt durch den Eric Dolphy (Flöte), der sich aus vertragsrechtlichen Gründen George Lane nannte. Ebenfalls dabei war Freddie Hubbard an der Trompete und mit Art Davis und Reggie Workman zwei Männer am Bass. In über 18 Minuten kreist „Olé“ im 6/8 Takt um die gleichen Akkorde ohne zu langweilen, im Gegenteil, wie ein Strudel zieht es einen in seinen Bann.
Dolphys ekstatischer Flöte hört sich wie ein Schrei nach Freiheit, wie Fernweh nach einem besseren Ort an und auch wenn alles in- und umeinander kreist, spürt man die Entfaltung der Musiker und wie sie einen mit auf eine Reise nehmen. Der etwas zu routinierte Hubbard erinnert mit seinem hymnischen Impetus an Miles Davis und signalisiert eine Aufbruchstimmung die übergreift in Tyners dringliches, teils hektisches abgehacktes, teils subtiles Solo. Mir gefällt besonders gut das celloartige Solo, welches kurz das Thema aufgreift und sich dann auf Wanderschaft begibt. Coltrane selbst umspielt am freiesten das Thema, erinnert in kurzen, schnellen Tonabfolgen an seine alten Klangflächen und wirkt mehr als alle anderen Solisten getrieben. Ein letztes Mal faucht er förmlich in sein Sopran und entlockt diesem flache Blue Notes. Am Ende der Reise scheint er wieder versöhnt und streichelt das Thema ein letztes Mal mit subtilen, leisen Tönen. „Olé“ ist für mich ein Befreiungsschlag gegenüber Diskriminierung und Rassismus, ein Changieren zwischen der Hoffnung auf Besserung in einer fernen Zeit (einem fernen Land) und dem sich nicht Ergeben und Weitermachen.
Die B Seite kann damit nicht ganz mithalten und zeigt doch eine wunderbare, lyrische Seite an Coltrane. Der Sound klingt zufriedener, als sei Trane angekommen an den Ort seiner Wahl. Sein eigenes „Dahomey Dance“ klingt wie das Ende einer Feier mit versöhnlichen Tönen von Hubbard, schrägen Schlangenlinien von Dolphy am Altsaxophon, einer sehr swingenden Rhythmusgruppe während Tyner unglaublich schnelle Läufe am Klavier zelebriert. Tyners „Aisha“ ist die nächtliche Ballade am Schluss, unser Hauptakteur wirkt müde, verletzlich und selten klang sein Tenor im klassischen und besten Sinne so schön wie hier. Was für mich Olé Coltrane zu dem vielleicht stärksten Album Coltrane macht kann ich schwer sagen: Es mag die stimmige Umsetzung der einzelnen Geschichten sein, das tranceartige Dröhnen des Titelsongs oder die unterschwellige Melancholie, die alle Songs durchzieht. Vielleicht war Trane für mich nie zeitgleich dringlicher, schöner, wichtiger als hier.
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and now we rise and we are everywhere