Re: Nikos Favoriten

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nikodemus

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TINDERSTICKS – Tindersticks
This Way Up 1993

Hohe, fiebrige Streicher setzen ein, eine akustische Gitarre pickt leise im Hintergrund und eine Stimme setzt ein: „it’s plain to see the sun won’t shine today, but i ain’t in the mood for sunshine anyway, maybe i’ll go insane, i got to stop the pain“. Townes Van Zandts tieftraurige Ballade „Kathleen“ schien wie ein Bluebrint für sechs Engländer, die – knapp 25 Jahre nach dem Ersterer sein obiges Glanzstück abgeliefert hatte – das große Drama zurück in den Pop brachten. Die erste Single der Band, die aus der Asche der Indie Band Asphalt Ribbons aus Nottingham entstanden ist, deutete aber erst ansatzweise an, wie Tindersticks sich von anderen Bands unterscheiden sollte.

„Patchwork“ war eine einprägsame Ballade mit verzerrter jinglejangle Gitarre, zarten Streichern und prägnantem Bassspiel. So schön wie „Patchwork“ war, so wenig fiel sie im November 1992 in England auf und wurde von der großen Masse nicht registriert. Die Nachfolge-Single „Marbles“ war ein mid-tempo Song voller Rascheln, Prickeln, Läuten aus diversen Instrumenten, die kaum auseinander zu halten waren. Sänger Stuart Staples murmelte „you knew you where lost as soon as you saw her, you saw your life as a series of complicated dance steps. „Marbles“ war eher ein talking blues, ein verorgeltes Auf und Ab mit verzerrter Gitarre und fast tanzbarem Beat voller unheilvollen, bedrohlichen Zeilen die in einem murdermysteriösem Sprachwirrwarr enden und wurde prompt zur Single der Woche im Melody Maker sowie im NME erkoren.

Neben dem idiosynkratischem Mischmasch aus Stuart Staples tief näselndem Singsang waren vor allen Keyboarder David Boulter sowie die dramarama Streicherparts von Violinist Dickon Hinchliffe ein unverkennbares Element der frühen, kammermusikalischen Tindersticks. Die unerhörte Spannung, die Hinchliffes Geige in Songs wie Whiskey & Water heraufzuschwören wusste, trug ebenso zu Faszination bei wie Neil Frasers verzerrte, melodiöse Gitarre. Zusammen steigerte sich ein Song nach dem anderen in höchste Höhen und tiefste Tiefen, drohte zu kippen, umzufallen bevor im Refrain sich alles in den wundervollsten Melodiebögen auflöste.

Dazu kamen die untröstlichen Poeme wie in Blood oder Jism, wenn Staples herausfand „what happens when you reach the bottom“ und ein ums andere Mal vor in Schönheit starb, dass es einen das Herz bricht. Ob kurzzeitige Freude oder Trauer, Gewalt oder Liebe, die tindersticksche Atmospäre war aufgebläht voller akustischen und lyrischen Superlativen. Neben zarten Balladen standen verkirmesorgelte, brutale Instrumentals wie The Walt Blues oder Tea Stain, neben himmelsweichen Streichern verzerrte Gitarren oder eingespränkelte Trompetenmotive. Im besten Falle kumulierten und überschlugen sich diverse Streicher, Bläser, Gitarren und Keyboards in einer verdrehten überheizten Soundmischpoke und ließ den Hörer verwundert zurück (>Drunk Tank).

Zum Schluss enttröstet uns Staples im vollkommenen The Not Knowing, die Liebe ist trotz allem gegangen und außer einem wundervollen Holzbläserarrangement bleibt nichts zurück. Später sollten Tindersticks auch noch Van Zandts „Kathleen“ aufnehmen, ebenso getränkt voller Melancholie wie die Tracks auf „Tindersticks“ mit all ihren entzückenden Ingredienzien. Auf das Debüt folgten noch zwei wundervolle LPs voller Herzschmerz und Schwere, die beseelte Atmosphäre und Melodien der 80 Minuten von „Tindersticks“ bleiben für mich aber unerreicht.

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and now we rise and we are everywhere