Re: Nikos Favoriten

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nikodemus

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Bill Fay – Time Of The Last Persecution
(Deram SML/Decca 1971)

Bill Fay ist nur ein kleines Puzzle der Pop- und Rockmusik des 20. Jahrhunderts und schuf doch in seinen kurzen Zeit als Musiker zeitlose Meisterwerke, welche bis heute nichts von ihrer Anziehungskraft verloren haben.
Mithilfe des Ex-Them Drummers Terrys Noon konnte sich Bill Fay Ende der 60er Jahre einen Plattendeal bei Decca sichern, welche 1967 seine erste und einzige Single “Some Good Advice”/”Screams In The Ears” veröffentlichten. Obwohl die Single ein totaler Misserfolg war, gab Decca Fay die Möglichkeit zwei LPs aufzunehmen. Fay äußerte sich später zu dieser Tatsache, dass es die Politik von Decca zu dieser Zeit war, alle Hand Müll gegen die Wand zu werfen, in der Hoffnung, dass irgendetwas kleben bliebe. Er selbst, so Fay, sei gnadenlos von der Wand abgefallen, aber wenigstens gestattete man ihm die Aufnahme von zwei Alben.

Fay komponierte an seinem Klavier 13 Songs und spielte diese seinem musikalischem Direktor Michael Gibbs vor. Gibbs schrieb über Nacht für alle Songs ein großes Orchesterarrangement und spielte zusammen mit Fay diese an nur einem Tag ein. Gibb verwandelte Fays Klagen über die Unwirklichkeit der Welt in ein Gewand voller Streicher und Bläser. Fays dünne Stimme erschien fast hilflos gegen diese Überinstrumentierung und schuf doch eine zeitlose Mischung aus Schön- und Dunkelheit, welche sich selbst vor den besten Werken Drakes und Cohens nicht verstecken muss. Doch Fay traf wohl nicht den Zeitgeist und auch seine Weigerung seine Musik live aufzuführen führten 1970 zu einem kommerziellen Chaos seines selbstbetitelten Debüts.

Fay ließ sich von dem Misserfolg nicht unterkriegen und entdeckte kurz darauf seine biblische Begeisterung für die Schriften des Propheten Daniel und dem Buch der Offenbarung, welche ihm das Gefühl gaben, dass es eine Quelle hinter all seinen Gefühlen geben musste. Er ließ sich Haare und Bart wachsen und schuf ein gutes Dutzend verstörende Lieder über Hoffnungslosigkeit, Krieg, Furcht und Apokalypse. Fay sagte später selbst dazu, dass es keine spezielle Absicht gab, um bestimmte Effekte zu erreichen und das alles was er tat, nur das Aufgreifen der identischen Themen waren, welche später auch Dylan auf Slow Train Coming und Cash auf American IV verwirklichen sollten.

Musikalisch tauschte Fay die Streicher durch einen weit größeren Part des Gitaristen Ray Russell ein, welcher Bills verwirrenden Texte auf seine eigene verstörende Art zu untermalen wusste. Auch das Zweitwerk wurde ohne vorherige Proben an einem einzigen Tag eingespielt. Strahlten die Kompositionen auf dem Debüt noch eine gewisse Leichtigkeit aus, schien „Time Of The Last Persecution“ Raum und Zeit zu verdunkeln. “Please don’t take the sun from the sky / Don’t let them damage my eyes” singt Fay im zweiten Song und doch klingt diese Stimme schon so hoffnunglos verloren, als wüsste sie was ihr bevorsteht. Fay besang die Rückkehr von Jesus Christus und dennoch klang das nicht nach Gospel, nicht nach Erlösung, nicht nach innerer Ruhe. In „Pictures Of Adolf Again“ schrieb er ein wunderbar seltsames Stück über Hitler und die Führer aller Nationen. Im Titelstück erhebt sich zum einzigen Male ein Cello (?) und leitet eine der traurigsten Hymnen aller Zeiten ein, welche direkt auf der Ermordung von vier Studenten der Ohio University durch die amerikanische Nationalgarde basiert. Das zarte „Come A Day“ und das surrealistische „Let All The Others Teddies Know“ beenden ein Hörerlebnis der anderen Art.
Nach “Time Of The Last Persecution” lief Fays Plattenvertrag mit Decca aus, welcher aufgrund der schlechten kommerziellen Verwertbarkeit seiner Musik nicht verlängert wurde. 1977 wurden weitere Aufnahmen mit einem Improvisationstrio sowie 2005 eine Songsammlung mit Demoaufnahmen veröffentlicht. Seine beiden einzigen Alben wurden letztes Jahr von Eclectic Discs auf CD wiederveröffentlicht, worauf Bill Fay als die fehlende Lücke zwischen Nick Drake, Ray Davies und Bob Dylan angepriesen wird. Ob dies ausreicht, um das musikalische und lyrische überschaubare Werk von Bill Fay zu beschreiben, sei dahingestellt.
Wer aber an dem frühen Cohen und Drake oder dem späten Dennis Wilson Gefallen gefunden hat, der kommt eigentlich an Bill Fay nicht vorbei.

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and now we rise and we are everywhere