Re: Nikos Favoriten

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nikodemus

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Lucky Jim – “Our Troubles End Tonight”
(Red Records/Skint 2004)

Zu oft fällt man (ich) auf diese obskuren neuen Hypes herein. Groß, größer, dylanesk. OK, es gab keinen Hype um Lucky Jim, zumindest blieb das englische Duo hierzulande ein Geheimtipp. Verweise fanden sich bei „Our Troubles End Tonight“ in der Musikpresse dennoch schnell. Männlich, einsam, sucht. Akustische Gitarren, Einsamkeit, Verlust, Angst, unerfüllte Liebe etc. Prompt fielen die ganzen Namen, die man tunlichst vermeiden sollte – Cohen, Dylan, Buckley, Hazlewood, selbst Young, Van Morrisson… ich bin natürlich darauf reingefallen und besorgte mir „Our Troubles End Tonight“. Vielleicht war es mein Glück, dass ich zuerst die Musik anhörte, bevor ich das Booklet auspackte – es triefte nach Klischees. Zwei Nordeuropäer, geschätzte Endzwanziger, langhaarige Schönlinge, ein See und ein Schwarm (!). Meine Ängste wäre umsonst gewesen, das Debüt von Gordon Grahame und Ben Townsend ist zu erhaben.

Zu meiner Überraschung packte mich ein Song nach dem anderen, immer und immer wieder, fast ohne Abnutzungserscheinungen und das bis heute. Graham hat eine dieser Stimmen, die einmal gehört, sich ins Ohr einprägen und dort sich einnisten. Diese leicht nasale Stimme eröffnet das Album mit „You Stole My Heart Away“, eine einsame Wandergitarre begleitet sein Lamento bis sich allmählich Bass, Drums und Piano hinzufügen und einen perfekten Popsong abrunden. Das zweite Stück ist laut Presse verantwortlich für die Dylan-Referenzen, doch Dylan besingt schon lange nicht mehr so intensiv über die Liebe zu einer Frau.

The old ones they knew you my love
They set you to reason and sullied a dove
But how could they try you or demystify you with words

You’re a city that’s pulling me still
You keep me from sleeping and strengthen my will
The gates they are strong but they open for song I
have heard

Sinnliche Erotik treffen auf feuchtwarme Streicher und nach fünf Minuten erwacht man pappnass aus diesem sehnsüchtigen Song. Kein Wunder, dass es zur Single erkoren wurde.

Leidenschaftlich geht es auch weiter, die hohen, monotonen Streicher schnüren einem im Titelsong den Atem ab und auch die hintergründigen Bläser führen zu keiner Erlösung. Als wäre das alles nicht genug Verkehr, folgen in „Leah“, „Lesbia“ und „Almeria“ weitere Hymnen an Grahames Muse. Sex meets Souls und unweigerlich fallen einem doch wieder die Großen ein…Buckley, Tindersticks und gar manchem auch Jim Morrison (A.W.).

Die schwüle Westernhommage „Westwards We’re Headed“ wäre verzichtbar gewesen (ich fühle mich spontan an Nick Cave als Revolverheld erinnert), fällt aber nicht weiter ins Gewicht. Symbolisch für die ganze Attitüde steht das allegorische „My Soul Is On Fire“, eine beunruhigendes Stück Folk noir getragen von donnernden Pianoakkorden und nervösen Streichern. My soul is on fire / I’m the missing link in your disguise / I’m the willing screen for all your lies / I’m the mask that cannot hide your eyes

Der Abschluss wäre perfekt gewählt und dennoch erklingt noch „Endless Night“ und bringt ein weiteres Mal das alles zusammen, was „Our Troubles End Tonight“ so wundersam und großartig macht: begierige Lyrics voller Pathos, eine sehnliche Melodie aufgebaut aus den altbekannten Instrumenten und Grahames Liebesevangeliumsstimme. Dazu paart sich ein im Outro ein E-Gitarre und ein Chor haucht ein feierliches Crescendo bis hin zum eruptivem „petite mort“.

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and now we rise and we are everywhere