Re: Nikos Favoriten

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nikodemus

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Belle & Sebastian – „If You’re Feeling Sinister“
(Matador Rec – 1996)

Rein in die wunderbare Welt des Mädchen- und Twee Pop. Stuart Murdoch liest mittlerweile heimlich Kafka und verteilt seine idiosynkratischen Geschichten über die Liebe, Romantik, Frustration und Glaube auch außerhalb des eingeweihten inner circles. Nachdem die famose erste LP „Tigermilk“ auf eine Stückzahl von 1000 Kopien sehr begrenzt war (und recht schnell sehr teuer), sollte „If You’re Feeling Sinister“ das eigentlich Debüt von B&S werden, mit denen sie auch außerhalb von Glasgow erstmals Aufmerksamkeit errangen. Übermäßig groß war diese Aufmerksamkeit jedoch nicht, „Sinister“ hatte keine Singleauskopplungen (geschweige denn Hits), es existierten keine Bandfotos, Belle & Sebastian waren ein wohl gehütetes Geheimnis.

Ein paar Jahre später entdeckte ich etwas verspätet Belle & Sebastian. Der Name schreckte mich schon etwas ab, mein Phobie vor weiblichen Gesangsstimmen hatte ich noch nicht abgelegt und „Belle“ ließ auf nichts gutes hoffen. Frei nach dem Motto „you can’t judge an album by looking at its cover/name” landete nach einigen zögern “Sinister” in meinem Einkaufskorb. Gleich der Opener „The Stars Of Track And Field“ sollte mir aber die Angst nehmen. Dieser leise Auftritt von Stuart, diese träge, fast teilnahmslose Stimme, einen Hauch Akustik Gitarre und gaaaanz langsam addieren sich Bass und eine E-Gitarre hinzu, ein Cello, Klavier und die Spur einer Orgel bis der Song plötzlich Fahrt aufnimmt, sich zuspitzt, um sich dann wieder zu beruhigen, ein Trompete bläst und am Ende kumuliert alles in einem fast spectoresken Klang Wirr Warr. Das fing schon mal gut an und sollte so fortgesetzt werden… zarte Pianoläufe in „Seeing Other People“, die Harmonica in „Me And The Major“, dieses Wasauchimmer (Klarinette auf Speed?) im Solo von „Mayfly“.
Irgendwas war bei Belle & Sebastian anders. Klar war das Popmusik, aber anders als ich Pop bis dato wahrgenommen hatte. Einerseits tanzbar („Major“ „Get Me Away From Here I’m Dying“), aber ohne jede Pose, Manierismus oder Selbstdarstellungen und dennoch so clever, tricky und nachdenklich. Musste ich noch schmunzeln bei den ersten Zeilen von „Get Me Away I’m Dying“ ooh! Get me away from here I’m Dying / play me a song to set me free / nobody writes them like they used to / so it may as well be me), bekam ich am Ende des Song doch einen Klos in den Hals, wenn Stuart völlig lethargisch singt: „Said the hero in the story/“It is mightier than swords/I could kill you sure/But I could only make you cry with these words“.

Eine Popperle reihte sich an die nächste, der paranoiden Hommage „Like Dylan In The Movies“ folgt das süffige, traurige “Fox In The Snow”; der Titelsong mit seinem traurigen Konglomerat aus religiösen Identitätskrisen, Zweifeln, Langeweile und Sex und diesen hingehauchten Earcatcher „but if you are feeling sinister / go off and see a minister / he’ll try in vain to take away the pain of being a hopeless unbeliever“

Und als ich fast schon mit der Welt meinen Frieden schließen wollte, kam „The Boy Done Wrong Again“ an. „the boy done wrong again / hang your head in shame and cry your life away… all I wanted was to sing the saddest songs / if somebody sings along I will be happy now. Beklemmende Gefühle steigen auf und fast ist einem Stuarts Seelenschau unangenehm. Im abschließenden „Judy And The Dream Of Horses“ kokettiert der Protagonist, diesen ‚saddest song’ zu schreiben, passenderweise ist „Judy“ ein klassischer Gute Laune Popsong mit einer spielerischer Trompete und einer B&S typischen tragisch witzigen Story.

REM sollten in den 90ern ähnlich rührende Herzensbrecher schreiben, klebten diese aber so mit Pathos voll, als würden sie die ganze Welt alleine retten wollen. Belle & Sebastian verpackten ihre poetischen Tearjerker hinter flotten Melodien, kleinen Hymnen voller Witz, Tragik und Verletzlichkeit, Spontanität und Unschuld. Stuart selbst sagte mal, dass die Songs auf „Sinister“ die besten sind, die er je geschrieben hat, sie aber ärmlich aufgenommen worden wären, welches zu einer Live Neueinspielung führte („If You’re Feeling Sinister: Live at the Barbican“ war über iTunes downloadbar). Was auch immer Stuart im Nachhinein missfiel, „Sinister“ war ein Glücksfall und machte aus B&S die coolest band in indiedom. Heute sind B&S this year’s model und suchen nur noch verzweifelt nach dem naiven Charme des Frühwerks.

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and now we rise and we are everywhere