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Nick Cave And The Bad Seeds – „The Good Son“
(Mute – 1990)
“The Good Son” war aus musikalischer Sicht ein radikaler Schritt in der Karriere meines Lieblingsaustraliers. Spielte Cave Anfang der 80er mit „The Birthday Party“ und später mit den „Bad Seeds“ noch eine krude Mischung aus Post-Punk, New Wave und rohem Blues, war auf „The Good Son“ plötzlich alles anders. Cave zog nach Rio de Janeiro, verliebte sich in die brasilianische Journalistin Viviane Carneiro (die bald darauf schwängern sollte), ließ die Finger von Drogen und verkleidete seine lyrischen Moritaten hinter saccharinen Streichern.
Schon auf dem Cover war zu erkennen dass sich was verändert haben musste. Cave sitzt wie ein pädophiler, gefallener Engel an einem Flügel neben vier elfengleichen, unschuldigen Mädchen und hinterlässt einen arg ambivalenten Gesamteindruck. Was folgen sollte, wurde sein bis dato melodieseligstes Werk: Songs of love and devotion.
Schon der Opener „Foi Na Cruz“ (»„Er hing am Kreuz“)mit seinen akkustischen Gitarren, Männerchören und hintergründigem Vibraphon wiesen den Weg. Eine rührselige Melodie, einfallende Streicher! Nick Cave geläutert? Hält der Hauch eines Lichtstrahls Einzug in sein dunkles, elegisches Werk?? … nicht ganz:
Love comes a-knocking, comes a-knocking upon your door
but you, you and me, love; we don’t live there anymore
Der Titelsong mit seinen percussiven Handclaps und Chören beginnt wie ein Gospel, bevor Harvey/Bargeld mit brutalen akkustischen Gitarren einbrechen und Cave seine an die Bibel angelehnte, spirituelle Geschichte über den ‚guten’ Sohn, den Bruder des verlorenen Sohn, erzählt. Typisch Cave, dass sein Protagonist der eigentliche Nebendarsteller ist. Das unheimliche, mit viel Hall aufgenommen „Sorrow’s Child“ evoziert durch seine dramaturgische Orchestrierung cineastische Bilder. Darauf folgt ein Tribut an Leonard Cohen, Caves eigene Song Trilogie, ebenso furchteinflößend, lyrisch und dunkel wie die Songs des weisen Kanadiers. Der mysteriöse „Weeping Song“ eröffnet den Reigen der dunkelgrauen Lieder und wenn Gitarrist Blixa Bargeld im Duett mit Cave singt bleibt kein Nackenhaar stehen.
Go son, go down to the water, and see the women weeping there
then go up into the mountains, the men, they’re weeping too
Der “Ship Song” stellt die vielleicht beeindruckenste Ballade im ganzen Cave’schen Repertoire dar, ein himmelhochjauchzender Tearjerker mit wunderbaren Zeilen wie….
your face has fallen sad now – for you know the time is nigh
when I must remove your wings – and you, you must try to flight
…und leidenschaftlichem, sonoren Gesang. Scott himself hätte es nicht besser machen können. „The Hammer Song“ zieht das Tempo wieder an, Cave flüchtet von zu Hause, hinterlässt Gott und seine Familie und kann seinem Schicksal dennoch nicht enkommen… „Lament“ ist eine Wehklage über verlassene Liebe, inklusive großer Streicherverzierung, fatalistischen Versen und dieser Stimme….
so dry your eyes and turn your head away
now there’s nothing more to say, now you’re gone away
“The Witness Song” ist ein rhythmisches, vertracktes Stück Gospel Rock und nimmt alles vorweg, woraus Cave zuletzt das Doppelalbum Abbatoir Blues/Lyre Of Orpheus gemacht hat. Der Abschluss bildet „Lucy“, eine Mischung aus Requiem und Lullaby. Nick sitzt alleine am Klavier, der Himmel voller Geigen, besoffen und flehend nach der einen zehrenden Liebe
I’ll love her forever, I’ll love her all time
I’ll love her till the stars fall down from the sky
…mit anschließendem Harmonica Solo hinterläßt uns Cave zurück, den läutenden Glockenturm vor sich, dazu Vollmond und Tränen in den Augen
Nick Cave sollte elf Jahre brauchen, um diese Intensität und Melodien wieder zu erreichen. Das Sentiment dieser Magie bleibt indes wohl unerreicht.
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and now we rise and we are everywhere