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Und schon geht’s weiter, diesmal mit einem meiner absoluten Lieblingskünstler einem verrückten Dokument einer merkwürdigen Zeit
Neil Young – „Time Fades Away“
(Reprise 1973)
“Time Fades Away” muss ein Schock gewesen sein. Als 1973 Neil Young sein erstes Solo-Livealbum als Nachfolger seines Bestsellers „Harvest“ vorstellt, erwartete wohl niemand ein derart radikales Werk. Zwar hatte Young in der Zwischenzeit einen obskuren Soundtrack namens „Journey Through The Past“ zu einem noch obskureren Film veröffentlicht, dieser bestand aber nur aus altem Material und Liveaufnahmen von Buffalo Springfield, CSNY oder seiner Solokarriere, dazu ein neuer Song („Soldier“) und das Instrumental „Let’s Go Away For A While“ von dem Beach Boys Klassiker „Pet Sounds“. „Time Fades Away“ indes sollte ausschließlich neue Songs enthalten, live aufgenommen mit den Stray Gaytors (Tim Drummond, Johnny Barbata, Jack Nitzsche, Ben Keith) und als Guest Vocals David Crosby und Graham Nash.
Young, dank „Heart Of Gold“ mittlerweile sogar jeder Hausfrau in Amerika ein Begriff, Neil Young machte genau das wahr, was er Jahre später so beschrieb:
„This song [“Heart Of Gold”]put me in the middle of the road. Travelling there soon became a bore so I headed for the ditch. A rougher ride, but I saw more interesting people there.“
Ganz so freiwillig lief die Geschichte aber dennoch nicht ab. 1972, Superstar Young weigerte sich zunächst auf Tour zu gehen, um seine Hits zu spielen. Dazu kam, dass seine erste Frau, die Schauspielerin Carrie Snodgrass schwanger wurde und bald ein behindertes Kind [Zeke Snodgrass Young] auf die Welt brachte. Ende 1972 holte sich Young die Stray Gaytors auf seine Ranch, um mit ihnen auf eine dreimonatige Tour zu gehen. Mit dabei war auch Danny Whitten, Rhythmusgitarrist von Crazy Horse, der aber aufgrund seines massiven Heroinkonsum nicht in der Lage war, Youngs Lieder zu spielen. Young schickte Whitten mit Bedauern, eine Rückflugticket und 50 $ fort. In der Nacht bekam Young den Anruf, dass Danny Whitten aufgrund einer Überdosis Heroin, die er sich von den Geld gekauft hatte, gestorben sei. Geschockt von dieser Nachricht, brachte Young es nicht fertig einen weiteren Gitarristen anzustellen und rief stattdessen seine alten Kumpels Crosby und Nash zu sich. Aber auch diese beiden waren nervlich angeschlagen, Crosbys Mutter lag mit einem Krebsleiden im Sterben und Nashs Freunden wurde kürzlich von ihrem Freund ermordet. Young schrieb später in einem Interview, dass der Tod Whittens symptomatisch für diese Zeit gewesen sei, die Freiheitsideale der 60er, freie Liebe, Drogen, das alle wäre auf einen Schlag vorbei gewesen. Und so entstand „Time Fade Away“, der erste Teil seiner „ditch trilogy/doom trilogy“….
Das Album beginnt mit klassischen Crazy Horse Garagen Rock ohne Crazy Horse. Nitzsche haut auf das Piano ein und Young erzählt die Geschichte von Junkies und deren Drogenmissbrauch, nur um im Refrain die sentimentalen Bitten der Eltern zu winseln:
Son, don’t be home too late, try to get back by eight
Son, don’t wait till the break of day,’Cause you know how time fades away
Der nächste Song “Journey Though The Past” (der natürlich nicht auf dem gleichnamigen Soundtrack zu finden war) zeigt Neil nachdenklich und allein Piano, sinnierend ob seine Liebste noch an ihn denkt, jetzt da er fort und gleichzeitig zurück ist, in einer Reise durch seine alte Heimat Kanada.
„Yonder Stands The Sinner“ könnte eine Selbstpersiflage sein…
Well, you heard about the Great Pretender?
I went to see him and he’s not the same
“L.A.” klingt mit seinem prägnanten Riff , als ob er versucht hat, aus “Everybody Knows This Is Nowhere” einen zweiten Song zu machen. Ein zarter Folkrock Song über Los Angeles, die Stadt des Smogs, die Stadt, die doch äußerlich hässlich erscheint und in der er sich doch wünschte zu leben.
Im folgenden „Love In Mind“ [reinhören: Love In Mind] setzt sich Neil wieder ans Klavier und bekennt, dass er alles verloren hat und dass er die Regeln, die die Menschen und die Kirche gemacht hat, nicht mehr einhalten kann. Was ist aus der Natur und der Liebe geworden, was mach ich überhaupt noch hier…
In „Don’t Be Denied“ beschreibt Neil autobiographisch seine Jugend, seine Probleme in der Schule und wie ihn der RocknRoll von seinem trostlosen Leben .gerettet hat, mit dem Fazit, dass man sich nicht verleugnen soll, für das was man ist und wo man herkommt. Ein absolutes, anrührendes Herzstück in Neils Discografie, musikalisch wunderbar untermalt mit einem feinem Riff und Ben Keiths zärtlicher Slide Guitar
„The Bridge“ wird wieder eingeleitet durch Neil solo am Klavier und der Mundharmonika. Die Brücke steht damit bildlich für eine Beziehung, die schon ein paar mal zerbrochen ist, die einige Lügen ertragen musste, die er aber immer wieder aufbauen will, egal wie lange es dauern sollte.
Das abschließende „Last Dance“ ist dann wieder ein wüster Abgesang auf die 60er Jahre und dessen Ideale. Es ist zeit aufzuwachen, steh auf und erinnere dich wo du her kommst und wer du eigentlich bist. Musikalisch wird er hier von einer zweiten Gitarre unterstützt (Crosby?), ein nichtendendwollender Jam mit etwas uninspirierenden Soli zerstört die heile Welt
You can live your own life making it happen
Working on your own time,laid back and laughin‘
Oh no, oh no,No, no, no
Neil wiederholt immer wieder die gleichen Worte… no no no, no no no…nicht mit mir, nicht mit mir. Graham Nash versucht das Publikum noch zu animieren mit ihm zu singen, aber es ist zwecklos. Zum Abschluss hört man noch einige Zuschauer klatschen, so rechte Freude scheint aber nicht aufgekommen zu sein. Zu hoch waren die Erwartungen seiner Fangemeinde. Der amerikanische Rolling Stone, der bis dato alle Alben von Young (insbesondere Harvest, Déja Vu und After The Gold Rush) verrissen hatte, schrieb, dass die LP einige Vorzüge zeigen würde, würde man sie nicht sofort als das neueste große Werk eines großen Künstler betrachten würde. Und genau das ist „Time Fades Away“. Zerrissen, zerfahren, mit teilweise schiefen Tönen und herzerweichenden Melodien. Neil sollte bessere Songs schreiben und bessere Alben produzieren, „Time Fades Away“ steht aber perfekt als Dokument diese Zeit in Neils Karriere. Für einen Punkt, wo alles schief zu laufen scheint, man nicht weiß, wie es weitergehen soll, ob man geradeaus oder zurück gehen soll und man nur die eine Hoffnung hat…time fades away
„My least favorite record is Time Fades Away. I think it’s the worst record I ever made – but as a documentary of what was happening to me, it was a great record. I was onstage and I was playing all these songs that nobody had heard before, recording them, and I didn’t have the right band. It was just an uncomfortable tour. It was supposed to be this big deal – I just had Harvest out, and they booked me into ninety cities. I felt like a product, and I had this band of all-star musicians that couldn’t even look at each other. It was a total joke.“
NY
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