Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › Thelonious Monk › Re: Thelonious Monk
gypsy tail wind…ein Abriss von Monk in Kürze.
Sehr schön!
Ich habe mal vor einiger Zeit eine Monk-Monographie von Thomas Fitterling gelesen. Damals das einzige, was in deutscher Sprache erhältlich war. Ganz passabel, aber aus heutiger Sicht wohl überholt. Das DU-Heft kenne ich auch. Es ist bemerkenswert wie sich die Sicht auf die Persönlichkeit Thelonious Monks nach seinem Tod und in den letzten Jahrzehnten offenbar mehr und mehr gewandelt hat. Bei Fitterling und auch bei DU ist er noch ein etwas eigenwilliger aber eigentlich sympathischer Kauz. Wenn man heute aber mal etwas recherchiert – und eigentlich ist das auch schon in der Film-Doku Straight, No Chaser zu sehen – kann man sich nicht des Eindruckes erwehren, dass Monk eine Persönlichkeit war, die – sagen wir’s mal so: psychisch etwas auffällig war. Extrem introvertiert, kaum fähig mit seiner Umgebung zu kommunizieren, mal extrem lethargisch, mal extrem aufgedreht, und außerhalb seiner Musik oft geradezu hilflos. Als Künstler hatte er einen gewissen Freiraum, in dem er auf diese Weise existieren konnte. Dieser Freiraum wurde aber auch sein Leben lang von einer Reihe Frauen in seiner unmittelbaren Umgebung garantiert: Erst seine Mutter (die ihn offenbar auch als 30-jährigen noch durchfütterte), dann seine Frau Nellie (ohne die er sich nicht aus New York heraus getraut hat) und schließlich Pannonica von Koenigswarter (die ihm im Alter Asyl gewährte). Meines Wissens sind auch ein paar Klinikaufenthalte belegt, als seine Familie mit ihm nicht mehr weiter wusste.
Ich stehe hier vor dem Dilemma, einerseits Monk-Fan zu sein, andererseits aber auch zu wissen, dass seine Musik die eines Mannes ist, der definitv einen an der Waffel hatte und dass er zwar viel Geniales geschaffen hat, aber eben auch noch mehr Überflüssiges. Nicht was sein kompositorisches Werk betrifft – das ist ja mit gerade mal 70 Kompositionen sehr klar umrissen – sondern was das Auswalzen desselben auf unzähligen Aufnahmen betrifft
gypsy tail windPrestige … Monk spielt auf einem grausam verspielten Klavier… und das ausgerechnet an einem Freitag dem 13. – das Datum gab dem einzigen gelungenen Stück den Namen – …
… aber mit der Watkins/Rollins-Sessions eine erste mittelprächtig gelungene …
Riverside – keine schlechten Alben (aber von mir aus welche zum weglassen, wenn’s denn sein muss, das zweite heisst übrigens „The Unique Thelonious Monk“, das erste schlicht „Thelonious Monk Plays Duke Ellington“) …
… Dann die Sessions für „Monk’s Music“: die Band mit Coltrane und Ware, aber mit Blakey am Schlagzeug, dazu Copeland, Gigi Gryce und Coleman Hawkins. Eine grosse Band, grosse Musik, die aber nicht ohne Fehler ist.
… Dann folgt ein Album mit Gerry Mulligan an Coltranes Platz … das auch eher schwächer ist aber doch hörenswert.
… Im Herbst folgt dann das grandiose „Thelonious Alone in San Francisco“, und danach beginnt wohl die Redundanz…
![]()
… im Frühling 1960 wird Monk im Blackhawk live mitgeschnitten … Auch das keine wirklich hervorragenden aber doch hörenswerten Aufnahmen… Um den Vertrag zu erfüllen, werden noch zwei Konzerte von 1961 mitgeschnitten („Monk in France“ und „Monk in Italy“)…
Das höre ich genau so! Du hattest es ja schon erwähnt: Mit den Blue Note Aufnahmen war eigentlich schon alles gesagt. Auch danach hat Monk noch vieles sehr gutes und zwingendes gemacht, das ich auf keinen Fall missen möchte. Aber es gibt leider auch eine ganze Menge Aufnahmen, die zwar nicht übel sind, die die Suppe aber eher verdünnen, als dass sie dem Bild etwas Wesentliches hinzufügen. Manchmal fehlt zwar bloß das entscheidende bisschen Brillanz, aber genau das macht den Unterschied aus. Gerade im Fall der Platte mit Mulligan finde ich das schade, denn Monk und Mulligan sind eigentlich eine interessante Paarung. Wenn man aber ein paar der anderen teils brillanten Mulligan Meets …-Aufnahmen kennt (mit Johnny Hodges, mit Ben Webster, mit …), bleibt nach Mulligan Meets Monk ein leicht fader Nachgeschmack hängen, da man das Gefühl bekommt, der entscheidende Funke wollte bei dieser Begegnung nicht so recht überspringen. Und außerdem klingt die Aufnahme so, als ob Bass und Drums im Nebenzimmer gestanden haben. Knapp daneben ist leider auch vorbei.
Und wer braucht die x-te Aufnahme von Straight, No Chaser oder Well, You Needn’t, ob nun live in Italien, Frankreich oder sonst wo, live oder im Studio, wenn es schon reichlich andere gibt, die sich nicht großartig voneinander unterscheiden?
Für meinen Geschmack tut man sich als Hörer und eigentlich auch dem Werk von Thelonious Monk keinen Gefallen, wenn man es so breit wie möglich auswalzt. Er hatte halt ein grandioses aber sehr begrenztes Repertoire und mit seinen Stilmitteln sieht es nicht anders aus. Er hat eigentlich immer das gleiche gemacht. Es unterscheidet sich nur voneinander durch seine jeweilige Tagesform, seine Begleiter und die Umgebung in der er aufnahm und –trat. Mal hatte das einen eher günstigen Einfluss, mal aber auch eher nicht. Auch zweitklassige Aufnahmen von Monk sind immer noch gut. Nur: Es gibt davon sehr viele, und sie unterscheiden sich qualitativ oft nicht bedeutend voneinander. Wie oft hat er Straight, No Chaser oder Well, You Needn’t denn aufgenommen? Muss man das alles gehört haben? Da schöpfe ich doch lieber die Sahne ab, als mich durch den Wust von Material zweiter Wahl zu wühlen.
Die wirklich grandiosen Aufnahmen hast Du ja erwähnt: Die Blue Notes, das meiste mit Sonny Rollins, die Session mit Miles, die Sachen mit Coleman Hawkins und Coltrane, der Big Band-Date, die eine oder andere Soloplatte, ein paar Platten aus den Columbia Jahren und vielleicht auch noch danach. Das ist für mich der Kern seines Werkes, straight, no chaser, also pur und unverdünnt. Die sollte man sich anhören! Mehr Wasser zur Suppe zu gießen verbessert den Geschmack auch nicht. So höre ich das. Andere hören das vielleicht anders. Ist aber auch okay so.
--
„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)