Re: RAMONES – Ramones

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jan-lustiger

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Habe letzten Sommer schon ’ne Rezi zum Album geschrieben, die ich gerade auch in meinen Blog gesetzt habe. Aus diesem Anlass mal auch hier:

Das selbstbetitelte Debut-Album der vier falschen Brüder aus Queens ist mit Sicherheit eines der einflussreichsten Rockalben, die jemals veröffentlicht wurden. Neben sämtlichen Punkbands von 1977 bis heute berufen sich unter anderem (!) U2, Green Day, Nirvana, Pearl Jam, Metallica, und sogar die Red Hot Chili Peppers auf Joey, Dee Dee, Tommy und Johnny als Inspirationsquelle. Mit diesem Album setzte die Band vollkommen neue Maßstäbe.

Angewidert von sämtlichen unerreichbaren Super-Rock-Gruppen àla Genesis oder Emerson, Lake & Palmer gründeten sich 1974 die Ramones und verkörperten prompt das Gegenteil: Songs mit 1-2 Minuten Spieldauer, keine Soli, oftmals Texte, die aus 2 oder 3 Zeilen bestanden und doch mehr auszusagen im Stande waren, als es so mancher Songwriter in 3 Strophen schafft. „Rock’N’Roll should be three words and a chorus, and the three words should be strong enough to say it all“, wie es Dee Dee Ramone formulierte. Auf die Frage „Was ist Punkrock?“ meint er einfach: „Naked Rock’n’Roll!“
Und genau das war es auch, wofür die Ramones standen. Sie orientierten sich gleichermaßen an den 50ern wie an den 60ern – in einem Interview nennt Joey Ramone etwa Roy Orbison und die Beatles als große Einflüsse -, reichern diese Mischung aber zusätzlich mit ihrem eigenen energiereichen, aggressiven Stil an. Da wäre etwa Now I Wanna Sniff Some Glue, die Hymne der No-Future-Generation schlechtin oder I Don’t Wanna Walk Around With You, laut Joey ein Liebeslied: „Dee Dee wrote it about his girlfriend“
Gerade der textliche Minimalismus auf Ramones ist faszinierend. Aus wenigen Zeilen kreiert die Band kleine Meisterwerke, nehmen sich dabei jede Menge Freiheiten raus (da reimt sich etwa „Texas Chainsaw Messacre“ auf „took my baby away from me“, muss man halt nur so singen..) und krönen das ganze dadurch, dass sie sich dabei selber auf die Schippe nehmen. Musterbeispiel dafür ist – meiner Meinung nach der Prototyp einer guten Punkrock-Nummer – Judy Is A Punk. „Second verse – same as the first!“ rufen sie nach der ersten Strophe, um dann vor der dritten Strophe richtig kreativ zu werden: „Third verse – different from the first!“ rufen sie – und verändern daraufhin ganze zwei Wörter. Doch damit nicht genug, mit I Don’t Wanna Go Down To The Basement verpassten sie sich ein Comic-artiges B-Movie-Image, das seine Vollendung im letzten Track findet, der Nazi-Verarsche Today Your Love, Tomorrow The World. Hier wird der kleine Nazi-Junge als verkappter Romantiker dargestellt, absolutes Highlight hierbei sicherlich der Begriff „Nazi-Schatzi“. Schwarzer Humor, wie er zu keiner Band besser passen könnte als zu den vier bekennenden Freaks mit den Lederjacken. 53rd & 3rd ist auch erwähnenswert. Dee Dee Ramone – selber eine Zeit lang männliche Prostituierte zum Zweck der Heroin-Finanzierung – erzählt die Geschichte eines Strichjungen, der zuerst jammert, keinen Stricher abzukriegen, schließlich kriegt er doch einen, bringt ihn aber um, um sich selbst zu beweisen, dass er gar nicht wirklich schwul ist.
Doch selbstverständlich ist das Album lange nicht so böse, wie es durch dieses Beispiel nun erscheint. I Wanna Be Your Boyfriend etwa ist eine schöne Ballade, die an die Vorbilder aus Liverpool erinnert, von denen sich Tommy Ramone bei der Produktion übrigens inspirieren ließ: so setzte er Gitarre und Bass in verschiedene Kanäle (links und rechts) und den Gesang – oft gedoppelt – und Schlagzeug in die Mitte, was allerdings den Hörgenuss mit etwa Ohrenstöpseln erschwert. Der Sound wird dadurch etwas dünn, sodass manche der Songs in den Live-Versionen noch deutlich energievoller rüberkommt. Was das Songmaterial angeht, finde ich eigentlich nur Loudmouth, weil es – textlich wie musikalisch- nicht den Charme der restlichen Stücke erreicht und Let’s Dance (die einzige Coverversion) wegen der unpassenden Orgel weniger gut. Die 12 restlichen Titel sind ausnahmslos zeitlose, geniale Klassiker.

„Hey Ho – Let’s Go!“, so die Kampfansage der Ramones an die Musikwelt in ihrer ersten Single Blitzkrieg Bop auf dem Weg in den Rockolymp. Sie wollten ganz nach oben, doch was den kommerziellen Erfolg angeht, haben sie es – von Südamerika Anfang der 90er abgesehen – nie dorthin geschafft. Ihr Einfluss und ihre treue Anhängerschaft aber haben die Ramones unsterblich gemacht und Anerkennung gab es nicht nur durch die Aufnahme in die Rock’n’Roll Hall of Fame: das Spin Magazine kürte sie zur zweitgrößten Band aller Zeiten – nach den Beatles.

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