Antwort auf: Sun Ra

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vorgarten

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studio-session märz 1959 / die hobart-dotson-ausgabe des arkestras

das finanzielle wagnis einer studiosession im märz 1959 wurde wieder aus einer relativen stabilität der auftragslage unternommen: das arkestra war nach dem niedergang des de-lisa-clubs und der stiefmütterlichen behandlung im budland an einem neuen ort gelandet: im schwulenclub queen’s mansion, in bronzeville lokalisiert, dem zentrum der afroamerikanischen queer-szene im nachkriegs-chicago. außerdem gab es ein neues mitglied, das als komponist, arrangeur und neue lead-stimme dem arkestra einen neuen sound gab: der trompeter hobart dotson, der leider nie so bekannt wurde, wie es sein können hätte gewährleisten müssen. die anderen arkestra-mitglieder schafften es zwar, dotsons drogensucht vor dem diesbezüglich äußerst intoleranten sun ra geheim zu halten, doch dotson brauchte geld und verließ mit der band von b.b. king die stadt und das arkestra, noch ehe das saturn-album JAZZ IN SILHOUETTE gepresst werden konnte. als er 1971 starb, war dieses heute klassische werk noch nicht bei impulse wiederveröffentlicht (sprich: es kannte keiner), mit lionel hampton, mit dem er jahrelang danach spielte, hat er nie aufnehmen können, also bleiben von dotson nur ein paar dokumente, vor allem mit mingus (mitte der 40er und mitte der 60er).

die von alton abraham und ra organisierte studiosession machte das beste aus der verfügbaren zeit: material für 2 alben wurde eingespielt, und dass, obwohl der kesselpaukenspieler jim herndon nicht konnte und der zweite posaunist nate pryor nicht rechtzeitig kam.

die besetzung also:
sun ra (celeste, gong, wurlitzer ep ,p), hobart dotson (tp), bo bailey(tb), james spaulding (as, fl, perc), marshall allen (as, fl, perc), john gilmore (ts, perc, voc), pat patrick (bars, fl, perc), charles davis (bars, perc), ronnie boykins (b, voc), william cochran (d); hattie randolph (voc)

das programm bestand eigenartigerweise nur aus fünf perkussionslastigen, modalen sücken mit arkestra-üblichen exotika (eins davon, „interstellar low ways“, kam völlig isoliert später auf ein ganz anderes album, die anderen bildeten eine seite von JAZZ IN SILHOUETTE), wie man sie von den rehearsals der letzten monate kannte. daneben gab es sich originell in hardbop-kontexte einfügende originalstücke (u.a. das tolle „enlightenment“ von dotson), die die andere seite von JAZZ IN SILHOUETTE ausmachten – und dann einen haufen standards, zwei sogar (ziemlich cool und sicher von hattie randolph) gesungen: „‚round midnight“ und „back in your own back yard“. (der rest: „i could have danced all night“, „hour of parting“ und dotsons broadway-mimikry „you never told me that you care“).

man vermutet heute, dass JAZZ IN SILHOUETTE durchaus den versuch darstellte, das arkestra endlich bekannt zu machen – mit einer ausgewogenen mischung aus konventionellem, elegantem hardbop mit perfekt arrangierten bläsersätzen einerseits und exotisch-verheißungsvollen afroorientalismen andererseits. geworden ist daraus natürlich nichts, auch wenn man 1961 schon neupresste und ein sexy cover mit unbekleideten weltraumnymphen bemühte. heute hört man das alles und ist beeindruckt. gilmore und patrick sind sehr eigenständige stimmen, denen immer etwas tolles einfällt, sun ra hält sich mit seinem spröden und abgehackten comping sehr zurück und dotson gibt der musik eine wärme, die das arkestra in seiner lead-stimme bisher nicht hatte (auch wenn mein lieblingstrompeter natürlich phil cohran wird, der wenig später auf der bildfläche erscheint). „ancient aethiopia“ rumpelt fast 10 minuten lang durch eine virtuelle pyramidenlandschaft, auf einem akkord, mit unglaublich stimmungsvollen soli (und einer chor-einlage), „enlightenment“ schwebt hintereinander durch mehrere tanzstile (sogar cha-cha-cha), ohne seine melancholische grundstimmung zu verlieren, ronnie boykins‘ klares fundament kontrastiert aufreizend zu den spitzen von spaulding und den verrücktheiten von marshall allen.

aber auch die standards machen großen spaß – sie wurden erst 1970 auf SOUND SUN PLEASURE!! erstveröffentlicht. die bläser sind großartig arrangiert, kein nonsense macht sich breit, keine langeweile, alles ist zutiefst ernstgemeint und sorgfältig zelebriert.

ich habe die evidence-cds dieser alben und das aus gutem grund – es sind die einzigen stereo-veröffentlichungen bislang (auch impulse hat sie noch in monoversionen wiederveröffentlicht). gerade angesichts der sorgfältig auf zwei kanäle abgestimmten arrangements von JAZZ IN SILHOUETTE macht das sinn.

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