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vorgarten… „Coleman names Konitz as an important influence on his own development. „I was always impressed with his melodic sense and the fact that he didn’t play clich’s.“ Noting his collaborations with Tristano, Sal Mosca and Warne Marsh he says, „Even though Lee moved away from that later I still associate him with that group of guys because they all seemed to have this creative thing where they were really inventing, as opposed to just playing what they knew. And that was the thing that most impressed me about him and it’s the thing that still impresses me about him.“ …
Ja genau da las ich das auch. Aber wenn man den Text noch einmal liest: Zuerst behauptet der Autor, Coleman bezeichne Konitz als wichtigen Einfluss. Was Coleman dann aber sagt, ist etwas anderes: Er schätze Konitz. Das ist keineswegs das Selbe. — Ich fand schließlich ein Interview, in dem Coleman Folgendes sagte: „Ein paar Mal sagten Leute, mein Spiel würde sie an Lee [Konitz] erinnern, allerdings in Situation, in denen ich Standards oder sowas spiele. Leute ziehen Vergleiche entsprechend dem, was sie kennen. Es ist eine Sache eines inneren Vergleichs. Wenn einer schon sein ganzes Leben lang auf Eric Kloss steht, wird er sagen: ‚Du klingst wie Eric Kloss.‘ Ich sage: ‚Komm schon, Mann?!‘ Aber für diese Person ist es eben so, man kommt dagegen nicht an.“
gypsy tail wind… Einflüsse und Prägungen sind doch bei jedem von uns komplex und vielschichtig …
Natürlich, aber es ist für eine andere Person wahnsinnig schwierig, auch nur einigermaßen realistisch die (wie Du richtig sagst) „komplexen und vielschichtigen“ Einflüsse eines Musikers zu beurteilen. Das besser zu können als der Betreffende selbst, wäre sogar bei jemandem, der die Laufbahn des Musikers in unmittelbarem Kontakt verfolgt hat, eine Anmaßung. In Wahrheit läuft exakt das ab, was Coleman in der von mir gerade zitierten Aussage dargestellt hat. – Vor kurzem las ich einen Artikel des sehr bekannten englischen Publizist John Fordham, in dem er feststellt, dass Steve Coleman bedeutend ist: Fordham hat bis Mitte 2011 dazu gebraucht und es ist offensichtlich, dass er keine Ahnung hat. Er hat nicht einmal Colemans Aussagen auf seiner Homepage gelesen. Zum Vergessen!
gypsy tail wind
„Überhaupt: In meinen Augen ist Charlie Parker der Punkt, warum die 1960er vorbei sind! So ungefähr.“
… Was willst Du damit sagen? …
Ich denk, die so genannten „Stile“ der Jazz-Geschichte sind immer mit einem gewissen Jazz-Verständnis, mit gewissen Auffassungen von Jazz-Qualität verbunden. Für Mezz Mezzrow machte Charlie Parkers Musik überhaupt keinen Sinn. Für Louis Armstrong auch nicht. Armstrong war absolut nicht dumm, primitiv, altmodisch, Onkel-Tom-mäßig oder so etwas, sondern er hatte ein anderes Verständnis. – So bilden sich aus meiner Sicht immer wieder neue Musiker-Kreise mit eigenen Auffassungen, die dann nebeneinanderher bestehen. – Im deutschen Sprachraum haben die Intellektuellen aus dem „Free Jazz“-Umfeld stark das Bild vom Jazz und von Jazz-Qualität geprägt. Berendt, Jost usw. spielten da eine große Rolle. Und wenn Brötzmann soeben der höchste deutsche Jazz-Preis verliehen wurde, dann zeigt das, dass ihre Perspektive nach wie vor Gewicht hat.
Steve Coleman wuchs im „Schwarzen“-Viertel von Chicago auf – in der großen Zeit des Chicagoer „Free Jazz“ (AACM usw.). Er rannte jedoch Sonny Stitt nach, weil Stitt ein großer Meister aus der Parker-Zeit war, weil Coleman das können wollte. Stitt brachte ihn zu Von Freeman. Coleman kam auch mit Bunky Green in Kontakt, der in seinen jungen Jahren sämtliche auf Platten erschienen Parker-Soli nachspielen gekonnt hatte.
Coleman schrieb 2007: „Die Musiker, die ich bevorzuge, sind eher die, die hoch entwickelte und spezifische Sprachen der Rhythmik und Tonalität entwickelt haben. Wie diese Musiker finde ich, dass die Elemente der Klangfarbe Hilfsmittel für den Ausdruck anspruchsvoller Rhythmusmelodien sind. Es gibt natürlich die, die überhaupt nicht mit mir übereinstimmen, und deshalb tendiert ihre Musik in Richtungen, die die Qualitäten der Klangfarbe hervorheben. Ich für mich bevorzuge einen subtileren Ausdruck der Klangfarbe. – Ich habe sehr den Eindruck, dass die jüngere Generation, die heute an der kreativen Musik beteiligt ist, auf die von den älteren Meistern hervorgebrachten detaillierten rhythmischen und melodischen Entwicklungen (welche eine unglaubliche Menge an Konzentration in Anspruch nahmen, um sie zu entwickeln) verzichtet zugunsten von mehr „Effekten“. Diese Trends neigen dazu, vor und zurück zu pendeln, indem jede Generation auf die Übertreibungen der vorhergehenden Generation mit einer Bewegung in die entgegengesetzte Richtung reagiert.“
Für mich war es ein wirklich essentieller Gewinn, Colemans Artikel über Parker zu lesen:
http://www.jazzseite.at/Zur_Musik_von_Steve_Coleman/text_SConParker.html
Bei dem tollen Greg Osby, bei Gary Thomas und vielen anderen Saxofonisten dieser Generation hört man meines Erachtens sofort, dass sie viel mehr auf dieser letztlich von Parker herkommenden Linie sind als jene Musiker, die mit den expressiven Klangfarben und mit theatralischen Elementen arbeiteten.
Übrigens scheint es bei Coleman später auch einen Einfluss von Henry Threadgill (den Du erwähnt hast) zu geben. Er sprach auch sehr anerkennend von Muhal Richard Abrams und Anthony Braxton; Anzeichen für einen Einfluss auf Colemans Musik von Abrams und Braxton sehe ich allerdings keine.
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