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Ich hör endlich mal diese Doppel-LP, die ich vor einigen Monaten schon gekauft habe.
Cover von Paquito d’Riveras Website: Front, Back
Das Konzert fand am 30. Juni 1982 im Rahmen des Kool Jazz Festival in der Carnegie Hall in New York statt und wurde von Elektra mitgeschnitten.
Unter den Musikern finden sich einige Leute, die ich zuletzt mit der Bezeichnung „Young Lions“ verbinden würde, aber auch Wynton Marsalis ist mit von der Partie. Neben ihm sind zu hören: Craig Harris (tb), John Purcell (as, cl, ob, enh, fl), Paquito d’Rivera (as), Chico Freeman (ts, bcl), Hamiet Bluiett (bari), James Newton (fl), John Blake (v), Abdul Wadud (vc), Jay Hoggard (vib, mar), Kevin Eubanks (g), Anthony Davis (p), Fred Hopkins (b), Avery Sharpe (b, elb), Ronnie Burrage (d), Daniel Ponce (perc) und Bobby McFerrin (voc).
Die Besetzungen variieren: Wir hören James Newton mit Rhythmusgruppe (Davis, Eubanks, Hopkins, Burrage) und ein Quintett von Chico Freeman und Wynton Marsalis sowie ein Sextett von Marsalis, Newton und Blake (beide mit Eubanks, Sharpe, Burrage), ein Vibraphonsolo von Jay Hoggard, ssowie vier Stücke in grossen Besetzungen.
Auf den Opener von Marsalis/McFerrin – ein kleines Kabinettstücklein, bei dem sie nur von Sharpe am Bass begleitet werden – folgt das Feature für Paquito d’Rivera, sein Stück „Mariel“ , in dem Sharpe elektrischen Bass spielt. Dann folgt ein erstes Highlight: „Thank You“ von Hamiet Bluiett, der mit seinem Baritonsax locker die ganze Band übertönt… Leonard Feather zitiert ihn in den Liner Notes wie folgt: „I always knew I could do something different with the baritone […]. I Listened to Harry Carney, to everyone, before evolving my own sound and style. I never wanted to be glib or slick. Mingus gave me the chance to play as I wanted.“ – Er zeigt hier, was er darunter versteht: unglaubliche Kontrolle übers Instrument, weit über den üblichen Tonumfang hinausgehend, reichhaltiger, grosser Ton im tiefen Register, Verschmelzung von Melodik und wilden Ausbrüchen. Eindrücklich!
Die zweite Seite beginnt mit John Blake, der im Sextett (mit Hoggard am Marimba, Davis, Sharpe, Burrage und Ponce) „Maiden Dance“ (Blake) spielt, ein etwas zu klischiert geratenes Fiedel-Stück. Weiter geht’s dann mit Bobby McFerrin und „What Ever Happened to the Dream Deferred“ (Freeman), wieder in der kompleten Besetzung. Eubanks spielt akustische Gitarre, die beiden Bässe, die gezupfte Geige, das gezupfte Cello, die Perkussionsinstrumente von Ponce und wohl (obgleich er laut dem Line-Up auf der Rückseite abwesend ist) Hoggard ergeben einen Teppich von Klängen, über den zuerst McFerrin seine flexible Gesangskunst (ohne Worte) zum besten gibt, dann folgt ein solides Tenorsolo von Freeman und zum Ende nach einem kurzen Interlude John Purcell an der Oboe (oder dem Englischhorn). Ein vielschichtiges Stück, das streckenweise erstaunliche Klänge hören lässt, am Ende aber eine Spur zu disparat ist.
Chico Freeman und Wynton Marsalis eröffnen die dritte Seite mit „Breakin'“ (Eubanks) – Marsalis eröffnet mit einem flamboyanten Solo, das an Morgan und Hubbard erinnert in der Art, wie er selbstbewusst vorwärtsdrängt. Es folgt Eubanks, sein Gitarrensound gefällt mir nich besonders, ist eher für Funk und Jazzrock geeignet als für akustischen Jazz. Freeman bläst ein schönes Solo, lässt sich mehr Zeit, wirkt reifer als Marsalis.
Dann folgt eins der grossen Highlights „Nigerian Sunset“, wieder mit McFerrin und der ganzen Band. Komponiert hat Craig Harris, wie er vor dem Stück sagt, hat ihn eine Reise nach Nigeria inspiriert. Die Musik beginnt sehr sphärisch mit einem langen, offenen Intro, in dem die beiden Bässe prominent sind. Es folgt ein schnelles 4/4-Tempo, Anthony Davis am Piano, dann schält sich langsam eine Flötenmelodie heraus, die James Newton und John Purcell unisono spielen, bevor sich das Tempo und die Tonalität wieder auflösen, sich alles in einem kurzen Schrei entlädt. Es folgt eine ruhige Passage, in der McFerrin eine gesungene Passage (mit Worten) zum besten gibt, von Bluietts Barisax unisono begleitet. Die Musik zwitschert, flimmert, vibriert…
Dann folgt wieder eine Passage in festem Tempo – und endlich hört man Craig Harris auch solistisch – sehr schön, sein weicher, grosser Sound, sein reduziertes Spiel.
Seite vier beginnt mit Anthony Davis‘ „FMW“, präsentiert mit Newton, Eubanks, Hopkins und Burrage. Hopkins fällt mir hier wieder auf – einer der ganz grossen, leider viel zu früh verstorben (1947-1999). Auch James Newton höre ich gerne, sein „African Flower“ (Blue Note) ist wohl eins der besten Jazz-Alben der 80er Jahre (auf dem Blake und Hoggard auch zu hören sind).
Afrikanisch geht’s bei „Pleasant Memories“ zu und her, Jay Hoggards Solo am Balafon und Vibraphon.
Das letzte Stück, „Endless Flight“, stammt von Drummer Burrage und präsentiert ein Sextett mit drei „hohen“ Stimmen: Marsalis, Blake und Newton, zusammen mit Eubanks, Sharpe und Burrage. Das Stück wechselt zwischen freien Passagen und geht dann in ein festes Tempo, Burrage wird da ziemlich präsent und es wird auch zum Ende hin klar, dass das keine geringe Leistung war von ihm, diese sehr unterschiedlichen Stücke zu spielen – es ist also wohlverdient, dass er zum Ende hin nochmal ein wenig im Zentrum steht.
Fazit: eine etwas durchwachsene Sache mit einigen Höhepunkten, insgesamt wohl bei ***1/2, vielleicht **** – mal sehen. Jedenfalls ist der Titel durchaus irreführend, da ich Leute wie Fred Hopkins oder Hamiet Bluiett niemals mit den „Young Lions“ in Verbindung bringen würde, und auch Anthony Davis, Jay Hoggard, James Newton, Craig Harris oder Chico Freeman eher nicht. Was aber klar wird, ist dass um 1980 durchaus einige hörenswerte Leute gute Musik machten, dass der Jazz keineswegs tot war, sondern eher ein Randphänomen (war er ja sowieso fast immer). Und die Musiker, die hier zu hören sind, sind – mit Ausnahme von Marsalis, McFerrin, d’Rivera und vielleicht Freeman – auch nicht besonders bekannt geworden, was die meisten von ihnen aber verdient hätten… dafür sind diese „young lions“ hier aber auf zu abenteuerlichen Pfaden unterwegs – zum Glück!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba