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Wie schön, dass der Thread wiederbelebt wurde; wie es der Zufall will, habe ich gestern einen kleinen Text zu „Psycho Killer“ geschrieben:
Play that funky music, nerd boy
Eigentlich hat Garry Mulholland in „This Is Uncool“ zu diesem Song schon so viel Treffendes gesagt, dass ich politely schweigen müsste – „Why say it again?“. Aber da „Psycho Killer“ mir neulich die Galle wieder eingerenkt hat (erzähl ich hier nicht, keine Sorge) und die sängerbezogene Höflichkeit auch mal schweigt, muss ich dem signature song der Talking Heads doch einige liebevolle Zeilen widmen.
„Psycho Killer“ ist ein vollendeter und spannungsgeladener Song, der musikalisch genau das heraufbeschwört, was auch der Text vermittelt, obgleich man beim ersten Hören vielleicht irritiert sein mag: Ein funky Song über einen heftig gestörten, schwer unter psychischem Druck stehenden Menschen? Befreiter horizontal schwingender Arsch versus eingezwängter Hirnstamm? Warum das nicht nur irgendwie hinhaut, sondern furchtbar fruchtet, ist, weil all die flirrende, nervöse Energie eben nicht grooven darf, nicht herausgelassen wird, sondern quasi hinter Gittern bleibt. Eingepflockt werden die Stäbe von der inspirierten Rhythmus-Patrouille: Chris Frantz und Tina Weymouth spielen abwechselnd sehr gerade, manchmal fast marschartig, was den zwanghaften Charakter des Lyrischen Ichs trefflich illustriert. Eine meiner Lieblingsstellen in diesem an solchen reichen Song ist diejenige mit dem französischen Text, an der Frantz und Weymouth zusammen mit Byrne in den dunklen dunklen Keller stapfen. Die absteigende Bassmelodie ruft bei mir dieses Bild hervor, und der Text gibt’s eh her: Sprachlich verfremdet, also als ein Anderer (?), berichtet das Lyrische Ich von einer Situation mit einer Frau, die (angeblich) seine Hoffnungen wahr werden ließ, die etwas gesagt hat, und er hat etwas getan. Was genau, erfährt man nicht, aber da es in der Einschätzung eines menschlichen Böllers für Glanz und Gloria ausreicht, wird es wohl etwas Einschneidendes gewesen sein. Zu tief ins psychologische Mustöpfchen muss ich nicht greifen, aber diese Zeilen fangen schon eine ganze Menge dessen gut ein, was ich von einem ordentlichen Psycho erwarte: „Die Welt wird von mir hören“, „Am 3.11. um 15.46 Uhr hast du aber das und das gesagt, das durfte ich doch wohl so und so interpretieren.“
In wie vielen Zungen Byrne in diesem Song singt und spricht, ist mir nicht klar, ob neumodisch multipel oder traditionell zwiespältig, aber egal, mit wie vielen Seelen sein Erzähler in einem Körper wohnen muss, Byrne verkörpert sie fantastisch! Er lässt all die unangenehmen Facetten seines Nerds auf der Bühne erscheinen, unter anderem den reflektierenden Getriebenen, den belehrenden Größenwahnsinnigen, den zwanghaft Kontrollierenden, den, der die Sprache beherrscht und den, dem die Sprache zur Lautfolge entgleitet. Wie viel man dabei falsch machen könnte, wie leicht der Psycho zum Brachialdeppen werden kann, zeigen diverse Coverversionen von „Psycho Killer“. Ich will keine Cover von diesem Song hören, nein, nein, nein sonst krieg ich wieder dieses Ayayayayayayayayayayaya! Wo war ich? Byrnes Sängerqualitäten. Ist es nicht großartig, wie das „Fa Fa Fa…“, das er sich bei Otis Redding gemaust hat, bei ihm zum „Fee fie foe fum“ wird? Der Bläsersatz wird zur Parole des Witternden, Soul goes Psyché. Auch die Ausbrüche beim Refrain oder am Ende des französischen Parts sind beunruhigend, denn was sich da wortlos Bahn bricht, ist mal sicher keine Lebensfreude („Yeah“).
Macht mich ganz brägenklöterig!
Ergänzungen und Widerspruch sind sehr erwünscht!
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the pulse of the snow was the pulse of diamonds and you wear it in your hair like a constellation