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Nach REMAIN IN LIGHT hatten alle TH-Mitglieder an Solo-Projekten gearbeitet. Vor allem Chris und Tina sind mit ihrem Tom Tom Club kommerziell erfolgreich: Die Single GENIUS OF LOVE wird Nr. 2 in den R&B-Charts und ihr Album wird vergoldet – etwas, was den TH bis dahin noch nicht gelungen ist. Aber nicht nur Chris und Tina begeistern sich immer mehr für R&B/Tanzmusik, auch David Byrne entdeckt die hypnotische und befreiende Kraft des Tanzens.
1982 sind David, Jerry, Chris und Tina bereit, wieder gemeinsam ins Studio zu gehen. Im Laufe des Jahres nehmen sie einige Instrumentaltracks auf. Mit von der Partie sind unter anderen Bernie Worrell, der auch schon auf RIL dabei war, aber hauptamtlich bei Parliament-Funkadelic für den Synthesizer zuständig ist, und ein gewisser Wally Badarou, der erst kurz zuvor für Grace Jones in die Tasten gegriffen hat. Auch Toningernieur Alex Sadkin hat schon für GJ die Regler bedient. Auf die Teilnahme von Brian Eno verzichtet man hingegen, die TH produzieren diesmal selbst.
DB gibt sich schon gar nicht mehr die Mühe, Texte zu schreiben. Stattdessen hört er sich die Rhythm-Tracks wieder und wieder zuhause auf einem Cassettenrecorder an und erfindet spontan Melodien, zu denen er Wort-Phrasen improvisiert. Er schreibt diese Textfragmente auf, fügt zusammen, läßt weg und ergänzt, bis sich die Worte für ihn gut anfühlen. (Es gibt ein Video eines Auftritts der TH bei David Letterman, das wohl aus urheberrechtlichen Gründen nur noch schwer im Netz zu finden ist. Auf die Frage, was er da singt, antwortet ein in der Interviewsituation deutlich verlegener DB: „I originally sang nonsense, and uh, made words to fit that. That worked out all right.“)
Chris und Tina besuchen Anfang 1983 ein Konzert von Parliament-Funkadelic. Auf dem Höhepunkt des Auftritts schreit das Publikum „Burn down the house!“ DB verabeitet diese Phrase in einem seiner Songs, daraus wird das erste Stück der neuen LP: BURNING DOWN THE HOUSE. Das dazugehörige Album heißt SP EAK IN GI N TO NGU ES. Der Titel (und wohl auch dessen ungewöhnliche Schreibweise) verweisen auf die fragmentarischen, diskontinuierlichen Texte der Songs, die keinen eindeutigen Sinn ergeben. DB beruft sich auf die Lautäußerungen von in religiöse Ekstase geratenen Gläubigen, die wie „in Zungen“ reden.
Auf SIT wird der Funk-Einfluss, der schon bei REMAIN IN LIGHT prägend war, aufgegriffen. Die Musik ist aber entschlackt, transparenter und deutlich klarer strukturiert. Es gibt durchgehend einen scharf akzentuierten Funkgroove der stärker vom Synthesizer getragen wird. Stilistisch ist SIT sehr homogen, die Stücke haben jedoch klar erkennbare Melodien und Refrains. DB erzeugt durch Gesang + Texte jeweils unterschiedliche Stimmungen. BURNING … beginnt mit den Zeilen „Watch out / You might get what you’re after / … / Hold tight / Wait til the party’s over“ SLIPPERY PEOPLE klingt wie ein Gospel, komplett mit Chor, auf dem unheimlichen, schleppend groovenden SWAMP erzeugt DB eine Stimmung als sei John Lee Hooker oder Howlin‘ Wolf ins 21. Jhdt. gebeamt worden: „Now lemme tell you a story / The devil he has a plan / A bag a‘ bones in his pocket / Got anything you want“ Ein etwas untypisches Stück ist THIS MUST BE THE PLACE, das mit seiner süßen Melodie und sentimentalen Text mal wieder eine dieser TH-typischen „Idyllen“ beschreibt. Nur diesmal ist man fast geneigt DB, das was er da singt, 1:1 abzunehmen: „Home – is where I want to be / But I guess I’m already there / I come home – she lifted up her wings / Guess that this must be the place“ Ist DB verliebt? Oder ist das ein Kinderlied? Ich fand TMBTP immer geradezu rührend!
BURNING DOWN THE HOUSE ist der erste Top 10-Hit der TH in den USA und macht sie damit auch dem breiten Publikum bekannt, in Deutschland werden sie zumindest in einigermaßen hippen Discos gespielt. Der ganz große Durchbruch scheint unmittelbar bevorzustehen …
Das Cover: Eigentlich sollte Robert Rauschenberg das Cover gestalten, aber die Ausführung seines Entwurfes ist so kostspielig, dass dieser nur in limitierter Auflage erscheint. Die reguläre Ausgabe von SIT erscheint dagegen mit einem kurz vor Redaktionsschluss von DB in Heimarbeit gemalten Cover mit vier Fotos eines umgekippten Sessels. „I originally painted nonsense, and uh, chose photos to fit that. That worked out all right.“ höre ich DB vor meinem geistigen Ohr dazu sagen …
F.
Fortsetzung folgt
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)