Re: Talking Heads

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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wernerIch würde gerne einen Beitrag leisten, aber ich kenne diese Platte nicht. Den Auftritt im TV habe ich damals gesehen. Leider ist es gerade bei den TH so, daß du im Publikum stehen mußt, um von den Rhythmen total erfaßt zu werden. Oder man hört die Platten (speziell RIL) LAUT.

Schade, schade! Die Platte ist – vor allem in der erweiterten Doppel-CD Reissue – sehr empfehlenswert und im übrigen sehr günstig zu erstehen.

Aber weiter in der Tagesordnung:

Die TH betourten fleißig REMAIN IN LIGHT, was sie u.a. auch nach Deutschland führte. Um die Musik von RIL live zu reproduzieren wurde die Band um einige Musiker erweitert (Adrian Belew git, Bernie Worrell kb, Busta Jones b, Steve Scales perc, Dolette McDonald voc) Soweit ich weiß, spielten sie auch in dieser Besetzung in Deutschland. Ein Kuriosum ist die Ausstrahlung eines Konzerts der TH im deutschen TV in der Reihe ROCKPOP. Ich erinnere mich noch, dass die TH 1980 in unseren Breiten ein popmusikalisches Randphänomen waren. Deutsche Gymnasiasten hörten eher THE WALL und wenn sie tanzen wollten Earth Wind & Fire, was auch gleichzeitig den weitestmöglichen Ausflug in Richtung Black Music darstellte. Wenn’s um so etwas wie New Wave ging waren vielleicht The Police auf der Popularitätsskala relativ weit oben, aber die TH kannte eigentlich kaum jemand. Sie hatten ja auch in dem Sinne keine Hits gehabt und wurden demzufolge nicht im Radio gespielt. Die Zeitschrift SOUNDS, die sich damals für neue popmusikalische Entwicklungen engagierte, hatte 1980 RIL zur Platte des Jahres gekürt (vor CLOSER von Joy Division, wenn ich mich recht erinnere), aber um das zu erfahren, musste man die SOUNDS erstmal lesen. Aber wer tat das schon? Ein paar Jahre später kostete die Abwendung vom Mainstream SOUNDS sogar die Existenz.

Auf einmal spielten Die TH aber nicht mehr vor 200 Leuten in irgendwelchen Klubs sondern flimmerten in Deutschlands Wohnzimmer. (Kann sich noch jemand daran erinnern, wer neben den TH an diesem Abend auf der Bühne stand?) Auf der CD-Reissue von RIL finden sich zwei Ausschnitte dieses Auftritts. Leider habe ich die TH selber niemals live gesehen. Die Videos können wohl nur ansatzweise etwas von der Live-Präsenz der Band vermitteln. In jedem Fall muss die damals neunköpfige Band schon visuell einiges hergemacht haben. Das ist einerseits beeindruckend, muss aber andererseits auch bandintern problematisch gewesen sein: Wenn man sich die Videos ansieht, stellt man fest, dass vor allem Bassist Busta Jones mit seinem riesigen Cowboyhut und Adrian Belew den eigentlichen TH-Mitgliedern – außer David Byrne – die Show stehlen.

Eindrucksvoll dokumentiert sind die TH als Live-Band auf der Doppel-CD THE NAME OF THIS BAND IS TALKING HEADS. Sie enthält ausgewählte Aufnahmen von 1977 – 80, also nicht ein vollständiges Konzert, sondern lässt die Entwicklung der Band in diesen 4 Jahren im Zeitraffer Revue passieren. Auch wenn man die Studioaufnahmen alle kennt, ist TNOTBITH eine faszinierende Platte. So intellektuell und konzeptionell das Image der TH auch gewesen sein mag, sie lebten offenbar erst auf der Bühne so richtig auf. Für David Byrne war das wohl der Ort, an dem er aus sich herausgehen konnte, die Band ist spritzig und groovt und es gelingt ihr, selbst so komplexe Musik wie RIL hier organisch, flüssig, und mitreißend klingen zu lassen.

Die Veröffentlichung von TNOTBITH fällt in eine Phase, in der die TH eine ausgiebige Auszeit nahmen. Die Bandchemie stimmte offenbar nicht mehr so ganz und man ging sich für ein paar Jahre aus dem Weg. David Byrne hatte bereits weiter mit Brian Eno zusammengearbeitet und die grandiose MY LIFE IN THE BUSH OF GHOSTS veröffentlicht, Jerry Harrison nahm sein Solo-Album THE RED AND THE BLACK auf und Tina und Chris gründeten den Tom Tom Club, mit dem sie sogar bis in die Charts kamen. DB verfolgte auch weiterhin Soloprojekte neben den TH, zum Beispiel die Balletmusik THE CATHERINE WHEEL. Jeder tat also etwas für’s eigene Ego und 1983 waren die TH wieder soweit, gemeinsam ins Studio gehen zu können.

Die Soloprojekte der TH würden diesen Rahmen hier sprengen. Das wäre einen eigenen Thread wert.

Fortsetzung folgt.

F.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)