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In den frühen 80ern war ich ein großer Fan der TH, habe sie aber dann aus den Augen verloren. Ein paar LPs standen jahrelang noch bei mir rum. Wie hier bereits erwähnt, sind alle Alben der TH dann vor ein paar Jahren in erweiterter Form wiederveröffentlicht worden. Eher zufällig fiel mir eine dieser CDs in die Hände. Ich habe dann nach und nach alle Platten der TH auf CD erworben und noch mal neu und teilweise anders gehört. Über die Jahre verändert sich doch der Blickwinkel und die Betrachtungsweise. In diesem Falle würde ich sagen: Durchaus mit Gewinn!
Ich nehme das zum Anlass hier die Karriere der TH einmal Revue passieren zu lassen, nicht ohne den einen oder anderen Kommentar dazu abzugeben. Ich bin kein Experte, sondern schöpfe nur aus dem, was in meiner Erinnerung präsent oder im Netz und einschlägiger Literatur zu recherchieren ist. Wenn jemand Kommentare, Ergänzungen oder Korrekturen beizusteuern hat: Immer her damit!
Los geht’s:
Als Kind war David Byrne mit seinen Eltern aus Schottland in die USA eingewandert. Sein Vater ist Ingenieur und zieht mit seiner Familie danach noch mehrfach um. In den frühen 70ern ist Byrne ist ein begabter, aber fast schon pathologisch schüchterner Anfang-Zwanziger, der sich auf der Rhode Island School Of Design (kurz RISD), einer renommierten Kunstschule, einschreibt. Was ist Kunst in den frühen 70ern? Malerei, Skulptur und andere traditionelle Kunstformen gelten als überholt, Konzeptkunst und Happening gelten als das Gebot der Stunde. Auf der documenta 5 im Jahr 1972 sind z.B. Joseph Beuys, On Kawara und Hermann Nitsch große Namen. Ich vermute mal, in den USA dürfte der Trend ein ähnlicher gewesen sein. Auch DB fällt auf der RISD durch obskure Perfomances auf, bei denen er Violine spielt und sich den Kopf rasiert. Seine Professoren sind eher ratlos und Byrne beschließt mit seinem Kommilitonen, dem Drummer Chris Frantz eine Band zu gründen. Sie nennen sich THE ARTISTICS, später auch THE AUTISTICS, und spielen Coverversionen alter amerikanischer Gassenhauer, jedoch mit bescheidenen Erfolg.
DB bricht sein Studium ab und siedelt 1974 nach New York City über. NYC ist in dieser Zeit kurz vor dem Kollaps: hochverschuldet, hohe Kriminalitätsrate, wer es sich leisten kann, verlässt die Stadt und zieht in die Vororte. Der Zustand der USA ist nicht besser: 1973 verlassen die letzten US-Soldaten Vietnam, im gleichen Jahr kommt es zur ersten Ölkrise, der ökonomische Boom der Nachkriegszeit ist vorbei, 1974 erschüttert der Watergate-Skandal das politische System, die Woodstock-Generation ist auch irgendwie versackt und Amerika weiß nicht mehr so recht, was es von sich selbst halten soll. Ich habe natürlich nur ein durch die Medien vermitteltes Bild dieser Zeit in NYC und den USA: die Filme FRENCH CONNECTION, TAXI DRIVER oder DOG DAY AFTERNOON (deutsch: HUNDSTAGE), oder Fernsehserien wie KOJAK, die ein doch recht verschlissenes Bild Amerikas malen.
Das ist die eine Seite des Verfalls. Die andere, vorteilhaftere Seite ist: Wo nichts mehr ist, ist alles, oder zumindest vieles möglich! Es gibt billige Lofts in Manhattan, die von Künstlern und Musikern bevölkert werden und das politische und kulturelle Vakuum will gefüllt werden. Nachdem Chris Frantz sein Studium an der RISD beendet hat, folgt er mit seiner Freundin Tina Weymouth DB nach NYC. Die drei halten sich mit verschiedenen Tagesjobs finanziell über Wasser. Sie entschließen sich, gemeinsam Musik zu machen. TW lernt Bass zu spielen und von da an sind die drei die TALKING HEADS.
Fortsetzung folgt.
Friedrich
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)