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Youssou N’Dour – Joko: From Village To Town (2000) / Ba Tay (2000)
Vor allem in den 90er Jahren verlief Youssou N’Dours Karriere quasi zweigleisig. Der Welt präsentierte er spätestens seit Eyes Open auf Hochglanz polierte Alben, was 1994 in dem Welthit 7 Seconds seinen Höhepunkt fand, die Heimat Senegal dagegen bekam eine ganze Reihe von Kassetten, auf denen es vor allem Mbalax, jenen von ihm in den 80er Jahren miterfundenem Stil, zu hören gab. Besonders deutlich wurde dies im Jahr 2000 auf seinem letzten Columbia Album Joko: From Village To Town. Die Anlehnung an europäische Hörgewohnheiten war hier stärker als je zuvor und steht in krassem Gegensatz zu einer ganzen Reihe zeitgleich im Senegal veröffentlichter Kassetten. Und wenn man sich das Album anhört, muss mam sich zunächst einmal durch eine ganze Reihe mittelprächtiger Songs kämpfen, von denen ausgerechnet Don’t walk away, eine Kollaboration mit Sting, heraussticht und der Verdacht liegt nahe, dass es sich bei diesem Album um ein Werk zwecks Vertragserfüllung oder Resteverwertung handelt. Tatsächlich läuft in der ersten Hälfte des Albums nicht viel zusammen, kitschige Melodien treffen auf uninspirierte Beats, die vermutlich ein bisschen Trip Hop Feeling verbreiten sollen. Selbst der angedeutete Mbalax in Mouvement will hier nicht so recht funktionieren und wirkt erschreckend lasch. Doch so schwach der erste Teil ist, so gut wird der zweite. Als ob N’Dour selbst ein Licht aufgegangen ist, schüttelt er ab dem ungewohnt rockigen She doesn’t need to fall, bei dem er u.a. von Manu Katché am Schlagzeug begleitet wird, eine Reihe hochkarätiger Songs aus dem Ärmel. Beim dunklen Yama funktionieren dann auch die Beats, gepaart mit den Läufen über die Talking Drum. This dream ist ein weiteres Duett mit seinem „Entdecker“ Peter Gabriel und Red clay die beinahe klassiche N’Dour Ballade, die er wie gewohnt voller Inbrunst singt. Auch das HipHop Stück How come?, bei dem Wyclef Jean die Raps übernimmt, funktioniert in diesem Kontext sehr gut, ebenso wie Don’t look back, das im feinem R’n’B-Gewand daherkommt. Zugegeben, das alles klingt weder traditionell noch nach moderner senegalesicher Musik, aber zumindest was das Songwriting angeht, findet N’Dour im zweiten Teil des Albums zu alter Stärke zurück. Dass die Plattenfirma den Erfolg des Vorgängers Wommat mit allen Mitteln wiederholen wollte, ist kaum zu überhören, dass es nicht funktioniert hat hinlänglich bekannt. Im Senegal selbst wurde N’Dours Entwicklung kritisch, ja nahezu misstrauisch beobachtet und Intelektuelle sprachen gar vom Ausverkauf des eigenen Stils und riefen zum Boykott von Joko auf.
Gleich eine ganze Reihe von Kassetten produzierte Youssou N’Dour zeitgleich in seinen Xippi Studios in Dakar, die hierzulande natürlich nur sehr schwer aufzutreiben sind. Inwiefern es sich bei Ba Tay, eine CD, die von dem kleinen Label Jololi vertrieben wird, um eine dieser Kassetten handelt, ist mir nicht bekannt. Vermutlich handelt es sich auch nur um eine Zusammenstellung, das was aber zu hören ist, bildet tatsächlich den größtmöglichen Gegensatz zu Joko. Zum größten Teil gibt es hier den reinen Mbalax mit seinen treibenden, sich manchmal beinahe zu überschlagen drohenden Rhythmen auf der Talking Drum zu hören. Und das alles funktioniert ohne irgendwelche Zugeständnisse an den Rest der Welt zu machen. Aber eben leider hauptsächlich im Senegal. Einen Hit wie 7 Seconds sucht man hier vergebens, dafür bekommt man den wahren Stoff, der für den „Sonntagsweltmusikhörer“ zu exotisch klingt.
Dürfte ich mein eigenes Joko zusammenstellen, dann würde ich die ersten 8 Songs komplett weglassen und durch die 8 Ba Tay Songs ersetzen. Den Rest des Albums sollte Youssou N’Dour dann allerdings mit seiner Band Super Étoile De Dakar neu einspielen. Man mag gar nicht daran denken, was für ein fantastisches Album das geworden wäre.
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Wann kommt Horst Lichter mit dem Händlerkärtchen und knallt mich ab?