Re: Top 10 Alben

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nerea87

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Johnny SpazzyInteressiert mich auch. Erstes bewusst erlebtes/zu Lebzeiten gekauftes Dylan-Album?

War länger nicht hier, deshalb diese verspätete Antwort, sorry.

Mein erstes Dylan-Album war die „Blonde on Blonde“. Das war 1975. Ich weiß noch genau, wie mein Freund, mit dem ich LPs nach der Empfehlungsliste des Rock-Lexikons kaufte und hörte, mit dem Fahrrad aus der Stadt kam und die „Blonde on Blonde“ gekauft hatte. Wie wir verwundert waren über „Sad eyed …“, eine ganze Plattenseite! Ein paar Tage später haben wir auf der Geburtstagsfete meiner ukrainischen Freundin „Memphis Bluse“ aufgelegt und wie wild getanzt und die Stimmung gekillt. Danach dann die „Desire“ gekauft, das war die aktuelle Platte damals. Und 1978 nach Nürnberg gefahren, mit 4 Freunden im VW-Käfer.

Warum Tempest mir so gut gefällt:
Nun, es ist ein großartiges Album. Dylan schafft es, so zu klingen, als wäre diese Musik schon immer hier gewesen. Er überschreitet damit eine Grenze, geht über die Aktualität des einzelnen Songs hinaus. Seine Lyrik auf dem Album ist auf einem weiteren Höhepunkt angelangt. Als Beispiel eine Strophe aus „Roll on John“:

Tyger, tyger burning bright
I pray the Lord my soul to keep
In the forests of the night
Cover ‚em over and let him sleep

Passt wunderbar zu Lennon, der hell, hell, brannte. So nebenher bringt Dylan die Saite der amerikanischen Lyrik zum Schwingen, rückt zwischen Blakes erste und zweite Zeile christlichstes Gebet und wird dann 4. ganz diesseitig. Aber das ist noch nicht alles, man konzentriert sich auf das „let him sleep“, Dylan versteckt seinen Trick aber im “ ‚em“. Sie, beide. Welche beiden?: Einer, der Tyger. Der Zweite er selbst, seine Seele? Beide sollen ihn, Lennon, schlafen lassen? Das schwingt vielfältig, ist klug, gebildet, nebenher rausgehauen, so zärtlich gesungen (auch meine Belcanto-Tochter lauscht gebannt).

Und das sind nur diese 4 Zeilen. Das gesamte Album geht das so. Nicht umsonst hat das Album einen fast Shakespearschen Titel. Dylan geht noch weiter, indem er nicht nur grandiose Gedichte schreibt, sondern das in Musik gießt. Es eröffnen sich weitere Metaebenen und Bezüge, die das Album zu einem intellektuellen Vergnügen fast ohne Gleichen machen. Dabei singt er zärtlich, trocken, rau, liebevoll, von Silbe zu Silbe in Ausdruck, Konnotation und Betonung wechselnd wie bei seinen anerkanntesten Meisterwerken. Er schafft es lyrische Momente zu kreieren, in denen wir auf einmal sehen, wovon wir sonst schweigen müssten.

Was mich besonders fasziniert, ist, wie er sich bei „Tempest“ in den Kontext unserer kulturellen und gesellschaftlichen „Erzählung“ stellt. Das ist, als würde ein Künstler jetzt die „Illias“ herausbringen, oder „The Tempest“.

Für mich schlicht ein Meisterwerk.

Eminem nimmt die Erzählung auf, bei ihm finde ich auch immer wieder dieses Oszillieren zwischen dem was dieser weiße Proll sagt und was er darüberhinaus sagt. Das erhebt ihn für mich oft weit über das authentische Rappen über Compton und sonstige Kalamitiäten.

Dazu später mehr.

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...falling faintly through the universe...