Re: kramers LP Faves

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ARTHUR DOYLE – Alabama Feeling (AK-BA, 1978)

November 8th or 9th – I Can’t Remember When
Something For Casserlo, Larry & Irma
A Little Linda , Debra, Omita, Barry & Maria
Ancestor
Mother Image, Father Image
Development
a) BaBi Music for Milford & Huge
b) Alabama Soul for Arthur
c) Ramie & Master Charles of the Trombone

„My mother and father had very little education, but the five of us [children] all got university degrees. Three of us got Masters degrees, two got Bachelors of Science. They became schoolteachers and engineers. I’m the crazy one, I’m the black sheep of the family – I was into jazz! There was a jazz station in Birmingham, Alabama. Jazz has always been important in Birmingham.“

– Arthur Doyle

Wer heutzutage auf Arthur Doyle stößt, hat meistens den Umweg über Sonic Youth, beziehungsweise Thurston Moore und dessen zurecht vielbeachteten „Top Ten from the Jazz Underground“ genommen. Logisch dass Arthur Doyle in jener Liste mit „Alabama Feeling“ ganz weit oben vertreten ist. Überhaupt hat Moore einiges für Doyle und dessen langsam aber stetig (zumindest im kleinen Kreis) wachsende Popularität getan. So veröffentlichte er Jahrzehnte nachdem Doyle erstmalig als Leader auf einem Album in Erscheinung getreten war, unter anderem die Alben „The Songwriter“ und „More Alabama Feeling“ auf seinem eigenen Ectstatic Peace! Label.

Die innige Verbindung Moores zum Free Jazz und speziell zu Doyle mag auf den ersten Blick irritieren. Wer aber um die Koordinaten No Wave, Glenn Branca, Rudolph Grey, The Blue Humans und New York weiß, der wird auch die Quellen seiner Begeisterung kennen und verstehen. Wie aber wurde ein verhältnismäßig obskurer und bis zu seinem Debut kaum auf Platten dokumentierter Musiker, der mehr aus Hilflosigkeit als aus der klaren Zugehörigkeit immer wieder mit dem Label „Free Jazz“ versehen wurde, selbst in Jazz-Kreisen kaum bekannt ist und dessen Wurzeln in den Südstaaten und im Rhythm & Blues liegen, zum ungekrönten Helden der New Yorker Loft-Szene, der zusammen mit Bands wie DNA und Mars Headliner-Konzerte spielte?

„I was born the second of five children to Mr. and Mrs. Margaret and Arthur Lee Doyle. The family consists of three boys and two girls. We were born in the south of America. The boys share one bedroom… So many lies have been told about the black family. Not so. On my Alabama Feeling that is what „Mother Image and Father Image“ is about“.

Arthur Doyle wurde am 26 Juni 1944 in Birmingham/Alabama geboren. Als junger Mann kommt er nach Nashville und spielt in verschiedenen Rhythm & Blues-, Jazz- und Rock-Bands – unter anderem mit Gladis Knight, die neben Coltrane, Ellington und Armstrong ein wichtiger früher Einfluß blieb, der Doyle für immer prägen sollte und ihn später zu einem stilistisch einzigartigen Musiker machte, der sich immer auch als Songwriter sah und im Laufe seiner Karriere einige hundert Songs zu Papier brachte, die leider nur sporadisch und unter widrigen Umständen eingespielt und veröffentlicht wurden. Doyles Weg vom Gospel, Soul und R&B zum Free Jazz war im Gegensatz zu der Entwicklung konstant forschender und Suchender Musiker wie etwa John Coltrane eher Zufällig und hängt neben wichtigen Begegnungen wie der mit Milford Graves unter anderem mit dem Gebrauch eines defekten Mundstücks und der Idee zusammen, abwechselnd in sein Saxophon zu blasen und zu singen. Eine Idee, die ungeahnte Klangdimensionen eröffnete. Doyle hielt die Methode für neu (sie war es nicht) und nannte diese spezielle Spielweise „Voice-O-Phone“.

1967 schließlich zog es Doyle nach dem College in Richtung New York, wo er unter anderem Sun Ra, Milford Graves und Sonny Sharrock kennenlernt und an Sessions des Sun Ra Arkestra teilnimmt. Die große Chance mit Sun Ras Arkestra 1969 beim Newport Festival zu spielen, schlägt Doyle jedoch aufgrund lokaler Konzertverpflichtungen aus.

„A friend of mine named Leroy Wilson was walking down the street in Harlem and ran into Milford Graves. Milford was set up there with Amiri Baraka and those cats, and looking for musicians to play the free jazz, so he gave Leroy his number and I called him up. He didn’t really like what I was doing, because I was still playing be-bop. He wanted somebody like Albert Ayler, who I didn’t know at the time. I played with Milford, Arthur Williams, Hugh Glover and Joe Rigby, and I started working on my own particular style. Free Jazz Soul.“

1969 taucht Doyles Name erstmals als Sideman auf einem Album auf, als er mit Noah Howard „The Black Ark“, ein ebenso sagenumwobenes wie hervorragendes Album einspielt, das jahrelang kaum zu bekommen war, inzwischen aber auf Bo’Weavil neu aufgelegt wurde. Richard Williams charakterisierte Doyles Spiel auf „The Black Ark“ in einem Melody Maker Review folgendermaßen: „He never plays anything you could recognise, just furious blasts of rage. It sounds more like raw energy than anything I’ve ever heard. He’s nasty, man…“ Ein Großteil der folgenden Jahre liegt weitgehend im Dunkel. Zwar spielte Doyle unter anderem mit Bill Dixon, Sam Rivers, Andrew Cyrille, Dave Burrell und gründet eine Band mit Charles Stephens und Juma Sultan, Aufnahmen entstehen in dieser Zeit jedoch nicht, was Doyle später einem nervenzusammenbruch und wenig durchsichtigen politischen Problemen zuschrieb: „I just couldn’t take all this conspiracy from the United States government. We were up in Harlem with all the revolutionaries. I just wanted to play the music, but we were pushed into something else. Police raiding the clubs, and everything. There was some dirty business with Albert’s death. Joe McPhee told me the police had something against me. Sunny Murray and I were talking about this recently, and he says there was some conspiracy thing against free jazz from the beginning. I think the United States government had something to do with it. Between 1972 and 1974 I wasn’t working at all. I was in New York, but I was recuperating from my nervous breakdown.“ Erst 1976 betritt Doyle die Bildfläche erneut, als er mit Milford Graves in einer Live-Session das Album Bäbi aufnimmt – ein weiterer Klassiker des Free Jazz Undergrounds, der nie nachgepresst wurde und heute kaum noch zu finden ist. Bei dieser ekstatischen Session in New Yorks WBAI Free Music Store war auch Rudolph Grey im Publikum, der mit Arthur Doyle zwei Jahre später The Blue Humans gründen sollte, eine Band, die sich in New Yorker No Wave Kreisen einen Namen machte und in Clubs wie Max’s Kansas City weiße Kids des Mittelstands in Kontakt mit Free Jazz brachten. Glenn Branca kam auf diesem Weg in Kontakt mit Doyle und Thurston Moore wahrscheinlich ebenfalls. Bevor es aber zur Gründung von The Blue Humans kam, veröffentlichte Doyle sein erstes Album als Leader: „Alabama Feeling“. Eingespielt bei einem Live-Auftritt im Herbst 1977 unter suboptimalen Umständen mit Charles Stephens (Posaune), Rashied Sinan (Schlagzeug), Bruce Moore (ebenfalls Schlagzeug) und Richard Williams (elektrischer Bass), erschien „Alabama Feeling“ 1978 in einer Auflage von lediglich 1000 Exemplaren auf dem von Arthur Doyle und Charles Tyler geründeten Label DRA.

„Alabama Feeling“ begeistert aus unterschiedlichen Gründen und es ist ein schwieriges Unterfangen, diese hochemotionale Faszination in Worte zu fassen, denn die meisten Hörer werden nie etwas vergleichbares zu Ohren bekommen haben. Viele werden von der scheinbar wurzellosen Intensität und Kompromißlosigkeit angezogen, in der Doyles Wurzeln im R&B und Bop noch immer eine Rolle zu spielen scheinen, so dass „Alabama Feeling“ mit seinen organischen, „ehrlichen“ Strukturen erfreulich wenig an die zahlreichen esoterisch geprägten Free Jazz Eskapaden anderer Bands erinnert und auch wenig an die bisweilen verkopfte eurpäische Herangehensweise erinnert, die ohnehin näher an der Avantgarde angesiedelt ist, als viele der im Blues und traditionellen Jazz verwurzelten US-Künstler, wie beispielsweise Albert Ayler, der im Vergleich zu Doyles Spiel auf „Alabama Feeling“ fast zahm und zurückhaltend daherkommt. Oder um es mit den Worten von Rudolph Grey (Ed Wood Biograph und Mitglied bei The Blue Humans) zu sagen:

„Listening to the raw emotional power of the first track, „November 8th or 9th, I can’t Remember When“, you can hear why „Alabama Feeling“ is so highly regarded by aficionados of „free and spontaneous“ music, to use Arthur Doyle’s phrase“.

„Alabama Feeling“ scheint zu den wenigen Werken zu gehören, die die Bezeichnung „Crossover“ zurecht für sich beanspruchen und ebenso in der Tradition eines John Coltrane zu stehen scheint wie auch in der Tradition von The Stooges zur Zeit von „Raw Power“. Das alles, gepaart mit manischem Krach, der nicht von dieser Welt zu sein scheint. Diese Kompromißlosigkeit, gepaart mit Originalität und Authentizität wird es auch gewesen sein, die die weißen Mittelklasse-Kids der New Yorker No Wave Szene faszinierte. „Alabama Feeling“ Album ist eine wahre Tour de Force, der sich aber jeder zumindest einmal aussetzen sollte. In den meisten Fällen wird das Ergebnis verständnisloses Kopfschütteln sein, in meinem Fall war es Liebe auf den ersten Blick.

„Free Jazz Soul music is what I play. I’m happy underground. There’s not much money, but I’m happy. And that’s a victory: being happy.“

– Arthur Doyle

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