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Anonym
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Sorry, dass ich einen derart alten Beitrag aus dem „musikalischen Tagebuch“ hervorkrame und passenderweise hier zitiere, aber ich wurde erst jetzt darauf aufmerksam gemacht und kann mir ein paar Kommentare zu „Horses“ nicht verkneifen.
SokratesIch höre keinen zeitgeschichtlichen Kontext und keine historische Bedeutung, davon weiß ich nur – und beeinflusst u.U. meine Wahrnehmung. Wenn man das Album aus diesem Wissen löst und sich auf seine eigentlichen Bestandteile aus Worten und Tönen konzentriert, höre ich eine mehr als 30 Jahre alte Aufnahme, die alles andere als makellos ist.
Nicht makellos? In welcher Hinsicht? Dass ein paar schräge Töne darauf zu hören sind? Dann bin ich froh, dass dieses Album so „fehlerhaft“ ist, wie es ist, denn schließlich ist „Horses“ der erste große Gegenentwurf zu Bombast, Stadionrock und emotionaler Leere in der Musik. Warum willst Du „Horses“ aus seinem zeitlichen Kontext lösen? Natürlich macht das Wissen um seine Entstehung und vor allem den zeitlichen Kontext, die Begleitumstände ein Verstehen einfacher, um das Album zu lieben und zu verinnerlichen ist dieses Wissen aber nicht notwendig, denn „Horses“ ist zeitlos und somit immer brandaktuell. Ein Donnerschlag dieses Kalibers täte der populären Musik wahrscheinlich alle paar Jahre ganz gut. Was nutzen mir perfekt heruntergedudelte Soli in riesigen Stadien, von Musikern, die am „wirklichen Leben“ nicht mehr teilnehmen? Was hat das alles mit meinem Leben zu tun? Wo sind die Bezugspunkte? Wie soll überhaupt ein emotionaler Zugang zu derart geleckter, sauberer, konfektionierter Musik stattfinden, die nur noch hohle Pose und Massenabfertigung ist? Zum Glück gibt es immer wieder Platten wie „Horses“, die die Perfektion der Seele opfern. Soulbusiness not showbusiness.
SokratesPatti Smith hat eine Stimme, die nicht schön ist; ich persönlich würde mich damit nicht auf die Bühne trauen – aber das soll hier (vgl. unsere Dylan-Debatte) nicht Thema sein. Wenn wir uns das „Horses“-Konzept und seine Umsetzung genauer anschauen, stellen wir fest, dass wir es zum überwiegenden Teil („Kimberley“, „Birdland“, „Land“) mit langen spoken word perfomances mit zum Teil wirr-bizarren Texten zu tun haben, denen es an Struktur und Form fehlt. Die – nicht brillante, aber an sich brauchbare – Band wird zu Statisten degradiert, die dazu eine Art musikalische Endlosschleife abliefern darf. Der Gesangs-, oder richtiger: Sprachvortrag ist nervig bis nölig, bisweilen gar penetrant. Das Beste daran ist noch, dass die Band es versteht, ihr zu folgen.
Natürlich ist Patti Smiths Stimme nicht schön. „Horses“ ist auch kein Album, das in dem Sinne schön ist, dass man sich nach getaner Arbeit zurücklehnt, ein Feierabendbier aufmacht und sich nebenbei ein wenig von einer „schönen Stimme“ einlullen lässt. Patti Smith singt von Themen, die schön oder perfekt vorgetragen geradezu bizarr und realitätsfern klingen würden. Kennst Du „Sail Away“ in der „schönen“ Version von Linda Ronstadt? Diesen bizarren Effekt meine ich! It doesn’t work! Die Texte sind an keiner einzigen Stelle wirr, sondern stellenweise surrealistisch. Das ist ein gewaltiger Unterschied und eigentlich sollen sie den Hörer dazu anregen sein Gehirn, sein Phantasie anzustrengen. Es geht hier um das wahre Leben, um Bezugspunkte die jeder selbst knüpfen kann und muss, den sonst macht diese Platte wirklich keinen Sinn. Nochmal: Das hier ist keine beschissene Barry Manilow-Platte sondern ein lyrisches Meisterwerk (bei Lindenberg überhaupt von Lyrik zu sprechen ist ein Witz, hier aber macht es Sinn), das den Hörer fordert. Die Musik und die Musiker dieses Albums verfolgen ein Ziel, das alles Mögliche sein kann, aber ganz sicher ist es nicht Schönklang, ist es keine ekelhafte fette Pose und dafür bin ich verdammt dankbar. Den Texten/Vorträgen fehlt es keineswegs an Form – im Gegenteil. Oder willst Du behaupten, dass es in „Land“ keine dramatische Steigerung gibt? Ist das form- oder gar strukturlos? Der Vortrag ist nervig? Nölig? Hat „Free Money“ keine deutliche Form, transportiert dieser Song keine zerbrochenen Schönheit? Was sagt Dir der Inhalt? Oder sind das wirklich alles leere Worthülsen, die Dir so wenig geben, dass Dir nur Äusserlichkeite auffallen, an denen Du dich störst? Ist Dir der emotionale Zugang zu diesem Album so sehr verbaut, dass Du dich nur an technische Unzulänglichkeiten reibst? Geht es Dir wirklich nur um technische Perfektion? Ist das schon alles, was Du von guter Musik erwartest? Wenn ja, dann hätte ich an Deiner Stelle längst damit aufgehört Musik zu hören, denn ich könnte mir nichts Langweiligeres vorstellen.
SokratesWas ich an Positivem höre, ist eine gewisse Roheit und Intensität, die im Studio eingefangen wurde. Das Produkt hat etwas Eigenes und Markantes. In Patti Smith zeigt sich eine (ausdrucks-)starke künstlerische Persönlichkeit, die aber als Musikerin noch dazulernen muss.
Eine gewisse Intensität? Es gibt kaum intensivere Alben. Richtig, als Musikerin musste Smith wahrscheinlich noch vieles lernen. Als Künstlerin hatte sie mit „Horses“ ihren Zenit bereits erreicht.
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