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Anonym
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BILLIE HOLIDAY – „Songs For Distingué Lovers“ (Verve, 1958)
Day In, Day Out
A Foggy Day
Stars Fell On Alabama
One For My Baby (And One More For The Road)
Just One Of Those Songs
I Didn’t Know What Time It Was
„I hate straight singing. I have to change a tune to my own way of doing it. That’s all I know.“
(Billie Holiday)
„Mom and Pop were just a couple of kids when they got married. He was eighteen, she was sixteen and I was three“. Mit diesem vielzitierten Satz beginnt Billie Holidays umstrittene Autobiographie, die unter Mithilfe des Journalisten W. Dufty entstand. Auch wenn Teile der enthaltenen Erinnerungen frei erfunden oder ausgschmückt sein sollten, so steht doch fest, dass Holiday bereits in jungen Jahren die wirklich harten Seiten des Lebens kennen lernte und von Ablehnung, Rassismus, Mißbrauch und dem verzweifelten Wunsch nach einer Vaterfigur deutlich geprägt wurde. „I never had a chance to play with dolls like other kids. I started working when I was six years old.“, erinnert sie sich in „Lady Sings the Blues“. Holiday, die einen Großteil ihrer Kindheit bei Verwandten verbrachte, ging bereits als Teenager mit ihrer Mutter nach New York, wo sie in die Prostitution geriet und erstmals mit dem Gesetz in Konflikt kam, was in einem ersten Gefängnisaufenthalt resultierte. Über ein Engagement als Tänzerin kam sie schließlich eher zufällig zum Gesang, wurde 1933 von John Hammond entdeckt und machte wenig später, inzwischen unter der Betreuung von Louis Armstrongs Manager Joe Glaser ihre ersten Aufnahmen, unter anderem mit dem Tenorsaxophoniten Lester Young, und ging schließlich mit den Bands von Count Basie und Artie Shaw auf Tour. Zwei Begebenheiten während dieser Reihe von Auftritten verdeutlichen die schwierige Situation und den dummen Rassißmus, dem sich schwarze Musiker jener Zeit oft ausgesetzt sahen: Während die ausschließlich weißen Mitglieder aus Shaws Band in Clubs den Vordereingang benutzten, musste Holiday den Hintereingang benutzen und durfte selbstverständlich auch nicht in den gleichen Hotels übernachten, sondern musste sich mit bescheidenen Absteigen begnügen. Mit Count Basie und seiner Band lernte sie wiederum die andere Seite der Medaille kennen, denn in Basies komplett schwarzen Band hielt man die verhältnismäßig hellhäutige Holiday für eine Weiße, so dass diese sich schließlich schminkte, um ihre Auftritte ohne Anfeindungen zu absolvieren. 1939 schließlich hatte Billie Holiday einen unerwarteten Hit mit ihrer bis heute unerreichten Interpration von „Strange Fruit“, einer erschütternden und für damalige Verhältnisse unglaublich direkten Anklage gegen Rassismus und Lynchjustiz:
„Southern trees bear strange fruit,
Blood on the leaves and blood at the root,
Black bodies swinging in the southern breeze,
Strange fruit hanging from the poplar trees.“
Billie Holiday wurde zum Star, aber leider aufgrund zahlreicher kurzlebiger, unglücklicher Beziehungen und zunehmender Drogenprobleme auch ein Thema für die Presse und somit für sensationsgsgierige Menschen, die sich mehr für die Einstichstellen in den Armen von „Lady Day“ interessierten, als für ihren musikalischen Output.
Eine lange Freundschaft verband Holiday mit dem Tenorsaxophonisten Lester „The Prez“ Young, den sie bereits 1934 kennen lernte und mit dem sie auf der Bühne eine fast telepathische Verbindung einging, die sich in intensiven Performances niederschlug. Young, der ihr den Namen „Lady Day“ verpasste, war eine ebenso gepeinigte Seele wie Holiday und ihn als ihren Seelenverwandten zu bezeichnen, ist ganz gewiss keine Übertreibung. Nach Youngs Tod im März 1959 wurde Holiday der Abschied von ihrem alten Freund in Form eines Auftritts bei seiner Trauerfeier jedoch von seiner entfremdeter Ehefrau versagt. „Those motherfuckers won’t let me sing for Prez“, kommentierte Billie Holday diesen Vorfall, der offensichtlich schwer an ihrer durch Alkohol und Drogen bereits deutlich angeschlagenen Psyche nagte und so vertraute sie dem Jazz-Kritiker Leonard Feather ihre düstere Vorahnung an: „I’ll be the next to go“. Sie sollte leider Recht behalten und starb nur wenige Monate später, am 15 Juli 1959 unter menschenverachtenden Umständen.
Ich hatte sehr lange meine Schwierigkeiten mit Billie Holiday. Nicht aufgrund ihrer Musik, sondern vielmehr aufgrund der großen Last ihrer Legende, die genährt durch ihre zweifelhafte „Autobiographie“ und einen für das Verständnis der Musik und des Menschen wenig hilfreichen Spielfilm mit Diana Ross, der einen vorurteilsfreien Zugang zu der Musik Holidays mehr erschwert als erleichtert, denn Ihre Musik ist bei weitem nicht nur von schweren Schicksalsschlägen und Depressionen geprägt, sondern nicht selten die Quelle ansteckender Lebensfreude, da Holiday die einzigartige Gabe besaß, recht einfache Lieder durch ihre großartige Interpretation, geprägt von schlagartigen Tempiwechsel, plötzlich umschlagenden Stimmungen, unvergleichlicher Subtilität und einem grandiosen Timing in ungeahnte Höhen zu katapultieren. „I can’t stand to sing the same song the same way two nights in succession, let alone two years or ten years. If you can, then it ain’t music, it’s close-order drill or exercise or yodeling or something, not music.“ Dennoch – wann immer der Name Billie Holiday erwähnt wird, so scheinen die ersten Assoziationen vieler Menschen Rassismus, Drogen, Inhaftierungen und Prostitution zu sein. Jene Mischung aus Sensationsgier, Tratsch und Ignoranz also, die Holiday schon in den vierziger Jahren verunsichert hatte, nachdem sie wegen Drogenmissbrauchs inhaftiert worden war und eine Entziehungskur hinter sich hatte. All diese düsteren, elenden Momente sind natürlich ein wichtiger, wegzudiskutierender Teil von Billie Holiday, der in ihrer Musik, ihren Interpretationen immer mehr oder weniger deutlich zum Vorschein kommt. Besonders auf späteren Alben, wie auch auf dem hier besprochenen, denn auf „Songs For Distingué Lovers“ (und noch mehr auf „Lady In Satin“, ein Album, das kurze Zeit später erschien) erinnert nur noch wenig an die Billie Holiday der dreißiger und vierziger Jahre, die fröhlich-kindliche Songs wie „Eeny, Meeny, Miny, Moe“ oder unbeschwerte Titel wie „Getting Some Fun Out Of Life“ vortrug und dennoch ist der Kern dessen, was Holiday so wichtig, so besonders macht noch immer vorhanden, denn jeder von ihr vorgetragene Song wird durch eine ihr eigene Intensität zum Leben erweckt, die niemals geschauspielert oder routiniert wirkt. Offensichtlich fällt hier auch die Tatsache ins Gewicht, dass Holiday keine musikalische Ausbildung besaß und nicht routiniert vortrug, sondern die dargebotenen Songs wirklich durchlebte.
„Songs For Distingue Lovers“ ist ein verhältnismäßig reduziertes, wunderbar swingendes, teilweise gar relaxtes Album, das 1957 innerhalb weniger Tage mit Harry „Sweets“ Edison, Ben Webster, Jimmie Rowles, Barney Kessel, Red Mitchell, Alvin Stoller und Larry Bunker entstand. Auf diesen Aufnahmen werden erste stimmliche Probleme, oder zumindest Einschränkungen deutlich, die weniger galante Kritiker mit Kommentaren bezüglich Holidays Alter quittierten. In der Tat ist es schwer zu glauben, dass die auf „Songs For Distingué Lovers“ mit brüchiger Stimme vorgetragenen Songs, die von einem langen, ereignisreichen, oft erbarmungslosen Leben zu zeugen scheint, von einer gerade Vierzigjährigen vorgetragen werden. Vielleicht erfordert es ein Quäntchen Voyeurismus, um an diesen Aufnahmen Gefallen zu finden, vielleicht ist es aber auch die reife Authentizität, die viele Hörer an den späteren Aufnahmen Holidays so sehr fasziniert, dass sie sich einer Achterbahn der Gefühle aussetzen, die „Songs For Distingué Lovers“ auf jeden Fall ist. Trotz aller in Ansätzen vorhandenen Anzeichen künstlerischen Verfalls ist dieses Album alles andere als ein Dokument des Abstiegs oder der Depression, denn trotz marginaler Schwachpunkte ist es in seiner swingenden Reduktion und seinen scheinbar leichtfüßigen, fast schwebenden Performances die dennoch von emotionaler Tiefe zeugen, ein großartiges Dokument einer zweifellos genialen Künstlerin, die mit einzelnen Phrasierungen oft mehr gesagt hat als andere in ihrem Lebenswerk.
“People don’t understand the kind of fight it takes to record what you want to record the way you want to record it.”
Übrigens habe ich immer mehr das Gefühl, dass Frank Sinatra Billie Holiday sehr genau studiert haben muss, denn vieles was Holiday in musikalischer Hinsicht auszeichnete machte auch er sich zu Eigen.
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