Re: kramers LP Faves

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PATTI SMITH – Horses (Arista, 1975)

Gloria
Redondo Beach
Birdland
Free Money
Kimberley
Break It Up
Land
Elegie

„You see, Patti started out as a poet, then turned to painting, and then she suddenly emerges as a real rock star. Which was strange, because I don’t think she could have gone very far either in her poetry or her writing, just from scratch. But suddenly she’s a rock star. There was no question of that.“

(William Burroughs)

Ich war noch nie in New York, aber wenn es zwei Alben gibt, die exakt meine Vorstellung von New York City in den siebziger Jahren illustrieren, oder wahrscheinlich sogar geprägt haben, dann sind das „Marquee Moon“ und „Horses“. Es mag lächerlich erscheinen, aber beide Alben sind für mich zum bersten gefüllt mit Eindrücken, flüchtigen Begegnungen, Neonreklamen, düsteren Ecken, schmierigen Absteigen, regennassen Straßen, Erinnerungen, Gerüchen und Orten, die irgendwo zwischen den Textzeilen und der Musik transportiert werden und mich an einen Ort in einer Zeit transportieren, die ich nicht erleben konnte. Musik mit bestimmten Erinnerungen, Trauer, Freude, Erfahrungen und Begebenheiten zu verbinden ist keine Kunst und bedarf keiner großen Anstrengung, denn die „Arbeit“ wird hier einzig und allein vom Hörer übernommen. Jede Art von Musik, selbst der grauenhafteste Song kann diesen Effekt haben und genau darin liegt auch die Begründung, dass Millionen von Menschen teilweise höllisch schlechte Musik verklären und diese immer wieder in die Charts katapultieren und in dümmlichen „Oldie-Shows“ sehen wollen. Die oben beschriebenen Assoziationen, die bei jedem Hörer je nach Interessen, Vorbildung, Herkunft und Erfahrung selbstverständlich anders aussehen können, vermag jedoch nur große Kunst (und genau das ist Musik im Idealfall!) auszulösen.

Betrachtet man die Patti Smiths Herkunft, ihre Vorbilder, die sie, wie zum Beispiel Jim Morrison, auf „Horses“, mit mehr Herz und mehr Hirn nicht selten übertrifft, ihre Verwurzelung in der Literatur, ihre zickige Sperrigkeit und Kompromißlosigkeit, und ihrer nicht vorhanden Pin-up-Qualitäten, so verwundert es fast ein wenig, dass sie international derart populär wurde und es in die großen Konzerthallen und schmierige Feuilletons geschafft hat. Eigentlich so naheliegend wie Diane Arbus im Playboy oder Sylvia Plath in Reader’s Digest. World gone wrong.

„Horses“ muss 1975 wie ein erlösender Donnerschlag in der schläfrigen, fetten, übersättigten Musikwelt gewesen sein. Verursacht von einer Frau, die weit entfernt aller ihr in einer Männerdomäne zugestandenen Barrieren agiert und ihnen mit Aggressivität, Intelligenz und Authenzität vielleicht (hoffentlich!) vielleicht sogar ein wenig Angst einjagte. Es gibt Kritiker, wie etwa Greil Marcus, die Patti Smith Ideenklau, oder, noch schlimmer, Oberflächlichkeit vorwerfen, wenn sie in „Birdland“ auf Grundlage einer von seinem Sohn verfassten Biographie an den umstrittenen Psychiater, Psychoanalytiker, Sexualforscher und Soziologen Wilhem Reich erinnert (der später auch Thema des Kate Bush-Songs „Cloudbusting“ sein sollte) oder mit „Land“ eine krasse Neuinterpretation von „Land Of A Thousand Dances“ präsentiert, die laut Marcus mit ihren traumartigen Gewaltmomenten an Buñuels „Un Chien Andalou“ erinnert, einen surrealistischen, wild assoziativen Film, in dem Luis Buñuel und Salvador Dali Sequenzen aus ihren eigenen Träumen nachstellen, die unter anderem einen Mann zeigen, der einer Frau mit einem Rasiermesser durch das Auge fährt und zwei mit Eselskadavern gefüllte Klaviere. Ich kann diesen Vorwurf nicht so recht nachvollziehen, denn Smith scheint mit ihren Referenzen in Richtung Rimbaud, Coltrane, Ginsberg, Morrison, Richards, Burroughs, Kerouac, etc. nicht nur kokettieren zu wollen, sie scheinen ihr wirklich wichtig zu sein und sie hat sie wirklich aufgesogen und verinnerlicht. Neben dem zentralen Meisterwerk „Land“ glänzen auf „Horses“ aber eben auch Tracks wie „Free Money“ oder „Gloria“. Klassischer, treibender Rock’n’Roll at its best, der aber weit außerhalb seiner anscheinend festgefahrenen Wege und seiner selbstgesteckten Grenzen agiert. Genau diese kluge Weiterentwicklung (oder ist es gar eine Rückkehr?) klassischer Strukturen ohne den Verlust von Authentizität macht „Horses“ so einzigartig und so visionär. Das ist Punk, eine leidenschaftliche, kompromißlose Rückbesinnung auf das Wesentliche. Heart and soul.

John Cales Rolle als Produzent lag wahrscheinlich darin, die unmittelbare fast primitive Energie dieser Aufnahmen zu erhalten und diese nicht durch zähmende Eingriffe zu zerstören. Dennoch waren die Aufnahmen in den New Yorker Electric Ladyland-Studios, in denen Smith schon ihre erste Single „Piss Factory“ aufgenommen hatte, alles andere als einfach und harmonisch. Cale ließ die Band zunächst ihr komplettes Equipment austauschen und stellte das komplette Songmaterial, dass die Band während zahlreicher Konzerte und Sessions für die anstehenden Aufnahmen perfektioniert zu haben glaubte, in Frage, was natürlich mehr zu hitzigen Debatten und weniger zu musikalischen oder konzeptionellen Änderungen führte. „Everything wound up pretty much the way it startedt“, erinnert sich Lenny Kaye, „but we all understood it a bit more“. Cale hatte mit seiner Disziplinierung der Band Erfolg, der sich laut Victor Bockris in besseren Einspielungen und einer souveräner agierenden Band niederschlug, die jetzt Raum für Experimente und Improvisationen hatte. Später relativierte Patti Smith die Rolle Cales in Interviews jedoch und behauptete sie und die Band hätten „Horses“ quasi im Alleingang eingespielt und abgemischt und sämtliche Vorschläge und Ideen von Cales Seite ignoriert.

Interessant ist auch das anscheinend zufällige, fast schnappschußartige Cover des Albums, das, wie auch das Cover zu „Marquee Moon“, von Smiths damaligen Freund, dem zu jener Zeit noch weitgehend unbekannten, heute weltbekannten, stilbildenden Fotografen und Künstler Robert Mapplethorpe stammt, der 1989 an Aids verstarb. „What Smith needed, then, for the cover of Horses was a photograph that captured her intriguing ambiguity, and while she could have selected almost any photographer for the job, she asked Robert Mapplethorpe to take the picture. Robert and Patti talked about the cover endlessly,“ Janet Hamill recalled. „They’d just go on and on about it . . . Should it project a Vogue-Harper’s Bazaar quality? Or was that too glamorous? Then they’d argue about what ‚glamour‘ was. He had much more conventional ideas than she did, and ultimately I don’t think she paid a lot of attention to him.“ Mapplethorpe was far from being a professional photographer, and unlike his mechanically minded father, he was intimidated by technical equipment. He didn’t do any of his own printing and his black-and-white negatives were developed for him at a local photo lab. He didn’t even have supplemental lighting, so he was confined to shooting his pictures in daylight; and as a result, he was always looking for interesting light and shadow effects.“ (…) „I saw Horses in a record store in Australia,“ said art critic Paul Taylor, who died of Aids in 1992, „and immediately fell in love with the picture. I don’t know anything about Patti Smith or about punk, but I bought the album on the strength of the photograph. It was elegant and totally modern, and I remember looking at the photo credit and wondering, ‚Who is Robert Mapplethorpe?‘ „Mapplethorpe’s pictures had never received national exposure before, but when Horses was released in November, his photographs of Smith were in nearly every major magazine. „We had always dreamed about becoming successful together,“ Smith said. „It was all part of our grand scheme.“ (Aus „Robert Mapplethorpe“ von Patricia Morrisroe). Ein grandioses Cover, das den Geist des Albums perfekt illustriert. No more bullshit!

It’s chilling as hell, so keep yer woolies on for this one, fear fans.

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